Die Ewigen
Wänden ohne Decken, das sich einst unter dem Sandplatz der Arena befunden hatte. Die eng stehenden Mauern waren weit mehr als zwei Meter hoch und verstellten so jeglichen Blick auf die Tribünen, doch genau die hätte ich gern einmal von hier unten gesehen: Die Perspektive der Zuschauer konnte man auch heute noch genießen, nicht aber die der armen Seelen und die der Tiere, welche aus dem Sand der Arena zu den Tribünen hinauf gestarrt hatten. Ich strebte in der Hoffnung auf größere Räume, auf weiter auseinander stehende Mauern der Mitte des Runds zu - doch auch hier wurde die Sicht nicht besser, da konnte ich mich auf die Zehenspitzen stellen, wie ich wollte.
"Was suchst du?", fragte Magnus, als ich mit meiner Taschenlampe die Wände abfuhr.
"Man kann hier nirgends hoch, oder? Ich würde die Tribünen gern von hier unten sehen, aber dafür sind wir zu tief."
"Wir sind ein Stockwerk unter dem Platz", bestätigte Jackson.
"Und ich würde halt gern einmal auf dem Platz stehen", sagte ich. "Schade."
"Das geht schon", hörte ich Magnus hinter mir, ich drehte mich mit fragendem Gesicht um, er nahm mir die Taschenlampe aus der Hand und gab sie Jackson.
"Wenn ich dich mal kurz hochheben darf?"
Bevor ich antworten konnte, war er schon hinter mich getreten, hatte mich unter die Arme gefasst und trug mich scheinbar ohne große Anstrengung zur nächsten Wand, dort stemmte er mich hoch.
"Halt dich fest - du ziehst, ich drücke."
Ich fasste über den Rand der Mauer, krallte meine Finger in porösen Stein und Jahrhunderte alten Staub, und als ich halbwegs sicher hing, packte Magnus mit einem kurzen 'Entschuldigung' meine Hüften und drückte mich hoch. Ich schwang ein Bein über die Mauer, bedauerte kurz, dass ich der brandneuen Josie-Hose solch einen Schmutz zumutete, und setzte mich dann vorsichtig auf - die Mauer war zwar mehr als einen halben Meter dick, aber Balancieren vertrug sich nicht mit gut einsachtzig Länge. Als ich halbwegs sicher stand, hob ich den Blick - und der war wahrlich atemberaubend: Die Nacht war jetzt Schwarz, die Sonne längst untergegangen, die starken, gelben Scheinwerfer vor dem Kolosseum schnitten durch die offenen Mauerbögen harte Streifen in die Schwärze und blendeten meine Augen. Aber da waren sie, meine Tribünen - sie erhoben sich von hier scheinbar bis in den Himmel, so steil und abweisend hatten sie bei weitem nicht gewirkt, als ich eben darauf gestanden hatte. Wie ein Kraterrand umgaben sie die Arena, wie ein steinerner, massiver Kessel, aus dem es kein Entrinnen gab. Ich drehte mich langsam um, bewunderte die Mauern, die das gnädige Nachtlicht an den schattigen Stellen von den Wunden der Zeit heilte, während die scharfen Scheinwerfer die Risse und Löcher an anderer Stelle schmerzhaft in den Blick rückten. Das Licht reichte nicht bis zum Boden hinunter, und so ebnete die Nacht den Platz ein, ich konnte seine Fläche indes eher erahnen als tatsächlich sehen. Ein leichter Wind strich durch das Innere des Kolosseums und ließ meine Jacke flattern - ich musste plötzlich an den Engel auf der Burg denken, an den Jackson mich eben erinnert hatte. Seine wenigen Worte eben hatten mich beruhigt, hatten meine immer noch schmerzende Scham erstaunlich effektiv gelindert: Jackson war so kühl und sachlich gewesen, so überzeugend und ... ja, hoffentlich auch so ehrlich, dass ich mich jetzt, hier oben auf der Mauer, hier oben im Wind, endlich wieder frei und leicht fühlte - auch wenn ich von dunklen Mauern umgeben war und dort unten zwei sehr wachsame Augenpaare jede meiner Bewegungen und Regungen registrierten. Ich atmete tief durch, schluckte den Rest Wut, den Rest Entrüstung hinunter, drehte mich mit dem Wind im Kreis - vorsichtig und behutsam, mir sehr wohl der Einmaligkeit dieses Augenblickes bewusst.
Als sich unter meinen tastenden Füßen ein kleines Stück Stein löste, räusperte sich Magnus vernehmlich und ich ließ mir schweren Herzens von meinem Ausguck herunter helfen: Denn auch wenn mich Jacksons Engelsvergleich heute ungewollt ein bisschen fasziniert hatte - fliegen konnte ich deswegen noch lange nicht.
Ich hatte diesen Ausflug als exklusiver empfunden als die ausführliche Besichtigung der Engelsburg gestern mit Ciaran, daher bedankte ich mich sehr herzlich bei Jackson und Magnus. Bis zum Hotel redeten wir nur belangloses Zeug - sehr bemüht, zum alten, lockeren und freundlichen Tonfall zurückzukehren. Ich machte mir keine Sorgen, dass die Verstimmung des heutigen
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