Die Ewigen
Dunkelheit des nächtlichen Pantheons. Es war drinnen dunkler als draußen, und ich brauchte ein paar Sekunden, bis sich meine Augen an das fehlende Licht gewöhnt hatten. Jack lief vor mir weiter, ich folgte seinen schnellen Schritten bis unter die Rotunde: Eine zusammengesunkene, helle Gestalt auf dem Boden, darüber eine schwarze Silhouette.
"Shara!", brüllte Jack, und die dunkle Silhouette wirbelte herum.
Ich sah einen Mann, der mir dumpf bekannt vorkam: schwarze Augen, glänzende Zähne und ein schmales, hageres Gesicht. Es war Drake - ich kannte seine Züge von einem alten, nachgedunkelten Gemälde, das in einem der Gänge des grauen Hauses hing und vor dem Andreas immer wieder mal mit traurigem Blick verweilte.
Drake sah uns kurz an, nickte spöttisch einen Gruß, dann drehte er auf dem Absatz herum und wirbelte in den Schatten davon.
"Die andere Hälfte ist für euch!", hörte ich ihn rufen, dann war ich bei Shara angelangt.
Jack kniete neben ihr, sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen fassungslos an. Ihr Mund war leicht geöffnet, als wolle sie eine Frage stellen, ihre eine Hand hatte sich um den Griff des Dolchs geschlossen, der aus ihrer Brust ragte, mit dem anderen Arm stütze sie sich auf dem Boden ab und ich sah, wie er zitterte. Blut rann neben der Klinge aus der Wunde, färbte ihre Haut und den Stoff des zerfetzten T-Shirts in diesem grausigsten aller Rots. Jack griff ihr unter die Arme und zog sie an sich, sie wandte den fragenden Blick nicht von seinem Gesicht und ich sah große, klare Tränen in ihren entsetzten Augen funkeln.
"Ruf Andreas an", flüsterte Jack, "wir brauchen Ciaran."
Ich nickte. Beim ersten Versuch behinderten mich meine zitternden, viel zu dicken Finger, beim Zweiten merkte ich, dass ich inmitten dieser massiven Mauern keinen Empfang hatte. Ich rannte zurück zu der Tür, durch die wir rein gekommen waren, erreichte Andreas zum Glück sofort und gab ihm in halbwegs klaren Worten durch, was passiert war. Am anderen Ende vernahm ich nur ein erschrockenes Keuchen, dann ein knappes 'Verstanden, wir kommen'.
Ich wollte schon zurück in die Kirche, als mich jemand am Arm packte. Ich drehte mich um: Ein Schweizer Gardist, in der schlichten, blauen Exerzier-Uniform.
"Was ist hier los? Es soll geschossen worden sein?"
Hinter ihm stand mit sensationslüstern aufgerissenen Augen eine Frau - wahrscheinlich die, die eben geschrien hatte. Ich nickte als Antwort auf seine Frage, dann hielt ich ihm meine Handfläche mit dem nach innen gedrehten Ordensring vor das Gesicht.
"Ja, es wurde geschossen - aber nur auf die Tür. Bleiben Sie hier stehen und lassen Sie nur Personen durch, die auch so einen Ring vorweisen. Egal, ob rein oder raus. Verstanden?"
Er zögerte, sah an mir vorbei auf die zerstörte Tür und auf die zitternde Frau, dann wanderten seine Augen zurück zu dem Ring auf meiner Hand. Was für eine Macht hatte dieser Ring, fragte ich mich plötzlich, was erzählte man eigentlich den Kadetten der Schweizer Garde und den Priesteranwärtern darüber? Ich hatte den Ring schon unzählige Male benutzt - wenn ich Ciaran oder Andreas in den Vatikan gefahren oder dort Botendienste erledigt hatte, für Nichtigkeiten also. Jetzt stand hier eine ängstliche Frau, jetzt ging es um Schüsse, vor einem der Wahrzeichen von Rom, umlagert von zahllosen Touristen.
"Haben Sie mich verstanden?", fragte ich den noch immer zögernden Gardisten, um ihn nicht zu viel Zeit zum Nachdenken zu geben, er nickte schließlich.
Ich stieß erleichtert die Luft aus, die ich unbemerkt angehalten hatte und rannte zurück in die Kirche, verlangsamte aber unter der Rotunde mein Tempo, um Shara mit meinem Sturmschritt nicht zu erschrecken.
Das Bild, das sich mir dort bot, erinnerte mich an eine Pieta - und wie stets wäre auch diese wunderschön gewesen, wenn es diese entsetzliche Trauer nicht gegeben hätte: Jack kniete auf dem Boden und hielt Shara im Arm, ihr Kopf lag an seiner Schulter, sie starrte noch immer mit großen Augen zu ihm auf. Er hielt ihre Hände fest, die immer wieder zu dem Dolch zuckten, und redete leise auf sie ein, strich ihr das Haar zurück, streichelte ihr über die totenbleichen Wangen. Ich verstand nicht, was er sagte, bis ich die beiden erreicht hatte und das Echo meiner Schritte in der hallenden Kirche verklungen war, aber ich hoffte, dass er die richtigen Worte finden würde - die richtigen Worte, um unsere Prinzessin zu beruhigen und am Leben zu erhalten.
Shara
Es kam
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