Die fabelhaften 12 - Der Schlüssel: Band 3 (German Edition)
Tausendfüßler seinen Hals haben könnte (nein, er hatte keinen), und zwei Segmente des Gliederkörpers sprangen auseinander. Dicker, zähflüssiger gelber Schleim wie Glibberknete trat aus einem der Teile, erst schnell, dann langsamer.
Der Schwanz des Tausendfüßlers zuckte. Sein Mundwerkzeug knirschte.
Stefan sah zu den Hunderten Würmern, die inzwischen die gesamte Oberfläche des Tunnels bedeckten, und sagte: »Wer will als Nächster?«
Die Wurmarmee hatte angehalten, um den einseitigen Kampf zu beobachten. Sie wussten anscheinend nicht, ob sie auf Stefan losgehen sollten oder nicht. Also half Stefan ihnen auf die Sprünge. Er hockte sich neben den zerdrückten Tausendfüßler und drehte an dessen Kopf, bis der sich ablöste. Die durch ein simples Nervensystem angetriebenen Kiefer malmten die ganze Zeit weiter.
Stefan stand auf und hielt den Kopf mit den knirschenden Mundwerkzeugen empor wie eine Waffe. Und lachte.
Die Tausendfüßler waren Kreaturen der Bleichen Königin. Sie lebten unter Paris (sowie unter einigen anderen Städten) und hatten deshalb im Laufe der Jahrhunderte einiges mit angesehen. Einen offenbar verrückten Teenager, der den Kopf ihres zerstampften Anführers schwang, hatten sie jedoch noch nicht gesehen.
Normale Tausendfüßler besitzen bekanntermaßen keinen Rückwärtsgang.
Diese jedoch hatten einen.
Die Wurmarmee zog sich langsam zurück in den Tunnel.
Stefan sah zu Mack, zeigte ihm den Kopf und fragte: »Kann ich den behalten?«
»Klar«, sagte Mack. »Wenn du ihn tragen kannst.«
Stefan klemmte den Kopf unter den Arm, so wie ein Franzose sein Baguette, und sie schritten ohne Eile zum beleuchteten Teil der Kanäle und erreichten damit hoffentlich sicheres Gebiet.
Rodrigo lief neben Mack. »Ehrlich gesagt habe ich mich schon gefragt, wozu Stefan bei uns ist. Jetzt ist mir alles klar.« Er lief noch ein paar Schritte weiter. »Ich glaube, ich habe ein klein wenig Angst vor ihm.«
Mack entgegnete achselzuckend: »Stefan hat man besser auf seiner Seite als gegen sich.«
Sie traten schließlich in das zu grelle Licht eines schönen Pariser Tags. Nach der Düsterkeit drunten mussten sie eine Weile blinzeln und die Augen bedecken.
»Der Eiffelturm liegt in dieser Richtung«, sagte Dietmar und deutete flussabwärts. »Ist gar nicht weit. Wir können die Metro nehmen oder …«
»Vom Pariser Untergrund habe ich genug gesehen«, sagte Charlie. »Eigentlich sollte ich einen Schulausflug hierher machen. Aber das hier ist der schlimmste Ausflug, den ich je gemacht habe.«
»Laufen wir doch am Fluss entlang«, schlug Sylvie vor.
»Sollen wir auf die andere Seite wechseln?«, fragte Xiao.
»Noch mal über diese Brücke mit den Riesen?«, entgegnete Dietmar. »Ist wohl keine so gute Idee.«
Also liefen sie durch liebliches Herbstlicht an der Seine entlang, und beinahe ließ sie diese friedliche Stimmung ihre tödliche Mission vergessen. Es hat auch sein Gutes, zwölf Jahre alt zu sein: Man erholt sich schneller von Ereignissen, die den Verstand und den Willen eines Erwachsenen zerrütten und brechen würden. Erwachsene sind schwach und leicht zu ängstigen. Sagt mal »Biopsie« oder »Steuerprüfung« zu einem Erwachsenen. Seht ihr? Erwachsenen kann man ganz leicht Angst machen.
Aber die Wirkung der Sonnenstrahlen, des langsam dahinfließenden Flusses und der beeindruckenden Schönheit der Stadt um sie herum hellte ihre Gemüter schneller auf, als ein Erwachsener denken kann. Das einzig Unangenehme war, dass einige Leute, an denen sie vorbeigingen, auf Stefans riesigen Tausendfüßlerkopf starrten, der immer noch schwach knirschte.
Mack holte sein Telefon hervor. Es hatte etwa ein Dutzend Nachrichten, darunter verschiedene Spams, eine Mail von seiner Schule, zwei Facebook-Freundschaftsanfragen und eine SMS vom Golem.
Er seufzte. Nein, zur Abwechslung ging es ihm endlich einmal gut. Er hatte jetzt keine Lust zu erfahren, dass der Golem das Haus abgebrannt oder sonst etwas angestellt hatte. Später.
Sie erreichten eine Fußgängerbrücke. Es war ein stabiles Gebilde, auf dem gut und gerne ein oder zwei Autos hätten fahren können, das aber für Fußgänger reserviert war. Sie überquerten an dieser Stelle den Fluss, da die Brücke riesenfrei zu sein schien. Auf der Mitte der Brücke konnten sie den Eiffelturm in all seiner Pracht sehen. Nicht sehr nah dran, aber auch nicht sehr weit weg.
Sie hielten kurz an, damit Stefan den Tausendfüßlerkopf in den Fluss werfen konnte. »Er
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