Die facebook-Falle
Verbrechen an Kindern zu verhindern. Sie recherchiert seit elf Jahren zum Thema sexuelle Gewalt an Kindern im Internet. Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, ist sie seit 2003 in Chatrooms präsent, wo sie sich als Kind ausgibt. Will ihr erwachsener Gesprächspartner dann ein reales Treffen anbahnen, geht sie darauf ein und stellt ihn zum Teil vor laufender Kamera zur Rede. Für die RTL-2-Serie »Tatort Internet« stellte sie auf diese Weise insgesamt 56 Männer zur Rede, die sich mit ihr zum Sex treffen wollten. Das Serienformat hat eine große Debatte entfacht. Kritiker werfen der Sendung vor, nicht verurteilte Täter an den Pranger zu stellen. Andererseits ist die Beweislast, die die Sendung regelmäßig erbringt, erdrückend.
Allerdings sind der Redaktion der Produktionsfirma im Eifer des Gefechts Fehler unterlaufen. 239 Nachdem der 61-jährige Leiter eines Caritas-Kinderheims sich vor versteckter
Kamera mit einer angeblich 13-jährigen getroffen hatte, die eine Schauspielerin war, und von deren »Mutter« vor laufender Kamera mit seinem Kontakt konfrontiert worden war, wurde er von seinem Arbeitgeber, der ihn trotz Verpixelung erkannt hatte, suspendiert und verschwand für einige Zeit spurlos. Medienbeobachtern war klar, dass die Sendung am Ende gewesen wäre, hätte der Mann sich etwas angetan. Glücklicherweise tauchte er wohlbehalten wieder auf und beteuert, nie eine Straftat geplant zu haben. Sein Arbeitgeber, die Caritas, kritisierte RTL 2 dafür, dass man nach den Dreharbeiten im Mai mit der Information der Heimleitung noch fünf Monate gewartet habe – bis zur Ausstrahlung der Folge.
Der Würzburger Strafrechtsexperte und Missbrauchsbeauftragte des Bistums, Professor Klaus Laubenthal, kritisierte dieses Verhalten völlig zu Recht: »Wenn ich Prävention betreiben will, warte ich nicht vier oder fünf Monate mit so einer Kenntnis.« Beate Krafft-Schöning hält das für einen »bedauerlichen Fauxpas«, auf den RTL 2 auch entsprechend reagiert habe.
Der Berliner Sexualtherapeut Christoph Joseph Ahlers von der Charité betreut seit Jahren pädophile Männer in seinem Projekt »Dunkelfeld«. Er kritisiert, dass das Phänomen in der Sendung verkürzt dargestellt werde, da viele Pädophile tatsächlich enthaltsam lebten. Sexuelle Übergriffe würden in der überwiegenden Mehrzahl nicht von Fremden, sondern mitten in den Familien verübt. Solche Sendungen würden Menschen mit eingeschränktem Wissensstand »mit einem Gruselszenario versorgen«, sagt Ahlers. 240
Aber ist das wirklich nur ein Gruselszenario? Sicher ist: Pädophile sind nicht automatisch gewalttätig, was Beate Krafft-Schöning bestätigt. Die meisten Täter, die sie in elf Jahren mit ihren Taten konfrontiert hat, sind nicht pädophil veranlagt, sondern Leute, die einfach den Kick im Internet suchen. »Ich lernte einen Typen kennen, dessen Frau schwanger war und bei denen es nach seiner Aussage gerade sexuell nicht lief. Da hat er es einfach mal mit einem 12-jährigen Mädchen im Netz versucht. Andere gehen in SM-Foren schnuppern, das sind klassische Internettäter, die das ›just for fun‹ tun.« Und immer häufiger seien Jugendliche unter 20 Jahren darunter. Im klassischen Sinne pädosexuelle Täter seien dort auch aktiv, aber unterrepräsentiert. Wenn sie mit den Tätern persönlich spreche, sähen sogar viele ein, dass sie dabei Kinderseelen verletzen, und zwei hätten sich kürzlich sogar in das Selbsthilfeprojekt der Berliner Charité begeben.
Es wäre bedauerlich, wenn angesichts der öffentlichen Mediendebatte über eine Fernsehsendung das Problem selbst aus dem Blick geriete. Denn was sich dort zwischen Erwachsenen, Halberwachsenen und Kindern abspielt, wäre in diesem gigantischen Ausmaß ohne das Internet und ohne soziale Netzwerke wie Facebook undenkbar.
Schüler, Eltern oder Polizisten sitzen jedes Mal ungläubig in den Vorträgen der Journalistin. Denn sie geht live ins Internet, und es gelingt ihr sofort, mit den virtuellen Sexualstraftätern Kontakt aufzunehmen. »Viele denken dann immer, ich habe die da irgendwo hingesetzt«, erzählt sie, »aber es ist so. Diese Leute sind immer im Netz und sprechen Kinder an.«
Seit elf Jahren versucht Beate Krafft-Schöning, Kinder und Eltern, Lehrer und Polizisten zu informieren. Sie hat dazu die Initiative »Netkids« ( www.kindersindtabu.de ) gegründet. Informieren kann sie aber nur, weil sie sich von Beginn an intensiv mit den Profilen potenzieller Täter
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