Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
dass Grey in Irland keine offizielle Autorität besaß, schon gar nicht die Autorität, jemanden festzunehmen, und das wusste Siverly mit ziemlicher Sicherheit. Grey konnte den Rechtsweg wählen, indem er den Justiziar in Athlone bat, Siverly von einem Trupp Soldaten abholen zu lassen – wenn der Justiziar die Angelegenheit genauso sah wie Grey – und ihn in der Burg offiziell an Grey auszuliefern, der Siverly dann als Militäreskorte in die Obhut der britischen Armee überführen würde.
Dies setzte jedoch voraus, dass Siverly an Ort und Stelle wartete, während Grey nach Athlone und zurück ritt, dass sich der stellvertretende Justiziar (da sich der Justiziar derzeit vermutlich auf Brautschau in Frankreich befand) von Greys Argumenten dazu bewegen ließ, einen offensichtlich wohlhabenden und allseits geschätzten Mann festzunehmen und ihn der Willkür einer fremden Regierung zu überlassen, und dass sich Siverly seinerseits den Männern des Justiziars untertänigst ergab. Offen gestanden hielt Grey seine Chancen in jeder Hinsicht für gering.
Die Alternative war eine Festnahme im Schnellverfahren – nun, eine Entführung, wenn man direkt sein wollte – durch Grey und Jamie Fraser, während Tom Byrd mit den Pferden wartete. Grey neigte dazu, diese Vorgehensweise zu favorisieren, und er wusste, dass ihm Fraser nur zu gern dabei helfen würde.
Dies hatte zwar den Anreiz der Direktheit – und barg zusätzlich die hinreißende Möglichkeit, dass sich Siverly der Verhaftung widersetzte und dabei Kollateralschäden erlitt –, doch er redete sich erst gar nicht ein, dass es einfach sein würde. Sie mussten Siverly durch halb Irland auf ein Schiff schleppen, ohne ungewollte Aufmerksamkeit zu erregen – in einem Land, dessen Sprache er sprach und sie nicht.
»In der Not frisst der Teufel Fliegen«, murmelte er und trat entschlossen auf die Stufen des Pavillons, um Siverly reichlich Vorwarnung zu geben. Er glaubte, im Inneren eine Bewegung zu hören, doch als sein Kopf die Oberkante der Treppe erreichte, schien das Gartenhäuschen leer zu sein.
Doch er war schon lange Soldat, und ihn überkam ein so akutes Gefühl, dass hier Gefahr im Verzug war, dass er sich duckte, bevor er bewusst begriff, dass etwas nicht stimmte. Während er hämmernden Herzens auf der Treppe hockte, griff er nach seinem Dolch und lauschte angestrengt. Er hörte es hinter dem Pavillon laut im Gebüsch rascheln, sprang blitzschnell auf, rannte die Treppe hinunter und umkreiste das Häuschen.
Siverly hatte es schon in das Zierwäldchen geschafft; Grey konnte den Mann zwar nicht sehen, doch er hörte das Knacken und Knirschen, als sich ein menschlicher Körper in aller Eile durch das Unterholz zwängte. Sollte er ihm folgen oder das Wäldchen umrunden?
Er zögerte nicht mehr als eine Sekunde, dann rannte er nach links. Der Mann musste in den Stall wollen; er konnte ihm den Weg abschneiden.
Vage nahm er wahr, dass ein Stück weiter einige Dienstboten rufend auf ihn zeigten, aber er beachtete sie nicht. Er hatte seinen Hut verloren, doch auch das spielte keine Rolle. Er galoppierte durch den Küchengarten, sprang über einen Korb mit frischen Frühlingszwiebeln, der mitten auf dem Weg stand, und wich dem verblüfften Koch aus, der den Korb dort abgestellt hatte.
Das Gartentor war verschlossen, und er versuchte sich erst gar nicht an seinem Riegel, sondern packte es mit beiden Händen und schwang sich mit einem absurden Gefühl der Genugtuung hinüber. Ein kurzer, zerstörerischer Spurt durch ein Rosenbeet, und die Stallungen ragten vor ihm auf. Das große Schiebetor war geschlossen; Siverly war noch nicht herausgekommen. Er drückte das Tor auf und rannte in den halbdunklen Stall, wo sein stürmisches Eintreffen einige Pferde erschreckte, die schnaubend und wiehernd in ihren Boxen tänzelten. Ohne sie zu beachten, blieb er keuchend in der Stallgasse stehen, dem Tor am anderen Ende zugewandt.
Der Schuldige flieht, wo ihn niemand verfolgt . Wenn er genug Luft bekommen hätte, hätte er gelacht, als ihm dieser Satz einfiel. Eigentlich war er gar nicht auf weitere Beweise für Siverlys Schuld aus gewesen, doch dieses offene Schuldeingeständnis mittels seiner Flucht lieferte Grey die Entschuldigung für eine sofortige Festnahme.
Ihm kam zwar der vage Gedanke, dass Siverly gute zwanzig Kilo schwerer war als er und möglicherweise bewaffnet, doch er schob den Gedanken beiseite. Er hatte die Überraschung auf seiner Seite, und er hatte vor, sie zu
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