Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
den Fenstern im oberen Stockwerk, als die Männer die Auffahrt betraten, wo sie von einer Kutsche erwartet wurden.
»Wohin bringt Ihr mich?«, fragte er, so ruhig er konnte.
Die Männer sahen einander an; einer zuckte mit den Achseln.
»Ihr fahrt nach London«, sagte er.
»Die Königin besuchen«, sagte der andere und kicherte.
Er musste sich ducken, um in die Kutsche zu steigen, und dabei wandte er den Kopf. Lady Isobel stand im Fenster, den Mund offen vor Schreck. Sie hatte William auf dem Arm, den kleinen Kopf schlafend an ihrer Schulter. Hinter ihnen lächelte ihm Betty zu, von hämischer Freude erfüllt.
ZWEITER TEIL
Force Majeure
7
Wer Londons müde ist, ist des Lebens müde
Die Soldaten gaben ihm einen zweckmäßigen Umhang und versorgten ihn in den Gasthäusern mit Essen, das sie ihm gleichgültig über den Tisch schoben. Sie unterhielten sich, ohne ihn zu beachten, abgesehen von gelegentlichen scharfen Blicken, um sich zu vergewissern, dass er nicht auf dumme Gedanken kam. Was glaubten sie denn, das er tun würde?, fragte er sich. Wenn er je vorgehabt hätte zu fliehen, hätte er es von Helwater aus wahrhaftig viel einfacher bewerkstelligen können.
Er konnte ihren Gesprächen nichts entnehmen, denn sie schienen zum Großteil aus Klatsch und Tratsch aus ihrem Regiment, anzüglichen Bemerkungen über Frauen und geschmacklosen Witzen zu bestehen. Kein Wort über ihr Ziel.
Bei ihrer zweiten Rast gab es Wein – anständigen Wein. Er trank ihn vorsichtig; er hatte seit Jahren nichts Stärkeres mehr getrunken als helles Bier, und der herrliche Geschmack haftete an seinem Gaumen und stieg ihm in den Kopf wie Rauch. Die Soldaten leerten drei Flaschen – gemeinsam mit ihm, und es war ihm nur willkommen, dass sich seine dahinjagenden Gedanken verlangsamten, während ihm der Alkohol ins Blut sickerte. Es würde ihm nichts nützen, sich Gedanken zu machen, solange er nicht wusste, worüber er sich Gedanken machen sollte.
Er versuchte, nicht an ihren unbekannten Bestimmungsort und an das zu denken, was ihn dort erwarten mochte, doch es war so, als versuchte man, nicht an ein …
» Rhinozeros«, sagte Claire mit einer Art unterdrückter Belustigung, die ihm durch die Brusthaare fuhr. »Hast du schon einmal eins gesehen?«
»Ja«, sagte er und verlagerte ihr Gewicht, so dass sie bequemer an seiner Schulter lag. »In Louis’ Zoo. Aye, das geht einem nicht so schnell aus dem Kopf .«
Abrupt verschwand sie, und er saß da und blinzelte verdattert in seinen Weinbecher.
Hatte sie sich wirklich zugetragen, diese Erinnerung? Oder war es nur sein Verlangen, das sie hin und wieder so hautnah zum Leben erweckte, in bruchstückhaften Momenten, die ihn verzweifelt vor Sehnsucht zurückließen, aber auch seltsam getröstet, als hätte sie ihn tatsächlich kurz berührt?
Ihm wurde bewusst, dass die Soldaten verstummt waren und ihn anstarrten. Und dass er lächelte. Er erwiderte ihren Blick, ohne seine Miene zu verändern.
Beklommen wandten sie die Blicke ab, und er kehrte zu seiner Frau zurück. Für den Moment herrschte Friede in seinem Kopf.
SIE BRACHTEN IHN TATSÄCHLICH NACH LONDON .
Er gab sich alle Mühe, nicht töricht zu gaffen; ihm war bewusst, dass ihm die Soldaten verstohlene Blicke zuwarfen und überlegen lächelten. Sie erwarteten, dass er beeindruckt sein würde, und er weigerte sich, ihnen diese Genugtuung zu bieten – doch beeindruckt war er trotzdem.
Das war also London. Es hatte den Stadtgestank, die engen Gassen, den Geruch nach Küchenabfällen und Kaminrauch. Doch jede Großstadt hat ihre eigene Seele, und London war völlig anders als Paris oder Edinburgh. Paris war geheimnisvoll und selbstzufrieden; Edinburgh stets geschäftig, eine Kaufmannsstadt. Aber dies … London war voller Radau; es brodelte wie ein Ameisenhaufen, und es herrschte ein Gedränge und Geschiebe, als wollte die Stadt vor lauter Energie aus den Nähten platzen und sich über das Umland ergießen. Erregung durchpulste ihn trotz seiner Ängste und der markerschütternden Kutschfahrt.
Die jakobitischen Soldaten hatten von London gesprochen, zu Beginn des Feldzugs, als sie noch siegreich waren und London eine Frucht zu sein schien, die sie nur zu pflücken brauchten. Wilde Geschichten – so gut wie keiner von ihnen hatte überhaupt je eine Stadt gesehen, bevor sie nach Edinburgh kamen. Geschichten von goldenen Tellern in den Wirtshäusern und Straßen, auf denen es von goldenen Kutschen wimmelte …
Er erinnerte sich
Weitere Kostenlose Bücher