Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
geschehen wäre, wenn der Junge ihn verschluckt hätte, und die Panik ließ seine Worte heftiger klingen als beabsichtigt.
»Gib das her!«
»Mei!« Willie zog die Hand zurück und funkelte Jamie unter dünnen, aber doch deutlich erkennbaren Augenbrauen hervor an.
»Nnnnn«, sagte Jamie, der sich vorbeugte und das Funkeln erwiderte. »Nnnnnein.«
Williams Miene war argwöhnisch und verunsichert.
»Mei«, wiederholte er, jedoch schon weniger überzeugt.
»Es heißt ›nein‹, glaube mir«, versicherte ihm Jamie und zog den Mashbottich zu sich herüber. »Du hast doch bestimmt schon einmal gehört, wie deine Tante Isobel es sagt, oder?« Er hoffte doch, dass Isobel – oder zumindest irgendjemand – das Wort hin und wieder zu Willie sagte. Nicht oft genug, dessen war er sich sicher.
Willie schien darüber nachzudenken und hob sich dabei den Nagel geistesabwesend wieder an den Mund, um daran zu lecken. Jamie blickte argwöhnisch zur Tür, doch niemand sah ihnen zu.
»Schmeckt das gut?«, fragte er beiläufig. Diese Frage schien Willie noch gar nicht in den Sinn gekommen zu sein, denn er sah den Nagel zuerst verblüfft, dann stirnrunzelnd an, als fragte er sich, woher er gekommen sein mochte.
»Ja«, sagte er, wenn auch unsicher.
»Dann lass mich doch probieren.« Er bückte sich zu dem Kind nieder und streckte die Zunge heraus. Willie kniff die Augen zu, dann hob er gehorsam die Hand mit dem Nagel. Jamie legte seine Hand ganz sanft um Willies Faust und fuhr der Länge nach vorsichtig mit der Zunge über den Nagel. Er schmeckte natürlich nach Eisen und Pferdehuf, doch er musste zugeben, dass es kein schlechter Geschmack war.
»Gar nicht so schlecht«, sagte er und richtete sich wieder auf – ohne jedoch Willies Hand loszulassen. »Aber ich glaube, deine Zähne würden abbrechen, wenn du darauf kaust.«
Willie kicherte bei dieser Vorstellung.
»Den Pferden würden auch die Zähne abbrechen, weißt du? Deshalb lässt man so etwas nie im Stall herumliegen.« Er zeigte durch die offene Sattelkammertür auf die Boxen, aus denen zwei oder drei Pferdeköpfe hervorlugten, neugierig, wo denn ihr Abendessen blieb.
»Pferdchen«, sagte Willie ganz deutlich.
»Pferde, genau«, sagte Jamie und lächelte ihn an.
»Essen Pferdchen das?« Willie beugte sich neugierig über den Mashbottich und schnüffelte daran.
»Aye, das tun sie. Das ist gutes Futter – nicht so wie Nägel. Niemand isst Nägel.«
Willie hatte den Nagel eindeutig vergessen, obwohl er ihn immer noch in der Hand hatte. Er sah den Nagel an und ließ ihn fallen, woraufhin Jamie ihn aufhob und in seine Hose steckte. Prompt steckte Willie seine kleine Hand in das Mash, und weil es so schön klebte, lachte er und schlug ein paar Mal auf die wogende Oberfläche der mit Melasse versetzten Kleie. Jamie streckte die Hand aus und fasste ihn beim Handgelenk.
»Aber, aber«, sagte er. »Du würdest es doch auch nicht mögen, wenn Deke seinen Huf in dein Abendessen steckt, oder?«
»Hihihihi.«
»Siehst du. Jetzt wisch dir die Hand ab, dann kannst du mir helfen, das Mash zu verfüttern.« Er zog ein relativ sauberes Taschentuch aus dem Ärmel, doch Willie beachtete es nicht und leckte sich die süße, klebrige Masse stattdessen von den Fingern und schien sie sehr zu mögen.
Nun, er hatte dem Jungen ja gesagt, dass es essbar war, und es war nicht ungesund – obwohl er sehr hoffte, dass Mrs Peggy jetzt nicht auftauchte, sonst blühte ihnen beiden etwas.
Doch Peggy tauchte nicht auf, und sie verbrachten eine Viertelstunde damit, kameradschaftlich das Mash zu verteilen und dann frisches Heu von einem Stapel auf eine Schubkarre zu forken und es in den Stall zu schieben. Auf dem Rückweg begegneten sie Mr Lowens, der ein zufriedenes Gesicht machte. Worum er auch immer mit Grieves gefeilscht hatte, er glaubte, den besseren Handel gemacht zu haben.
»MacKenzie«, sagte er und nickte freundlich. Er lächelte William an, der, wie Jamie leicht bestürzt feststellte, Melasse auf dem Hemd und das Haar voller Heu hatte. »Ist das Euer Junge?«
Im ersten Moment dachte er, das Herz würde ihm geradewegs aus dem Mund springen. Doch er nahm rasch eine Lunge voll Luft und antwortete ruhig: »Nein, Sir. Dies ist der junge Graf. Der Graf von Ellesmere.«
»Ach ja?« Lowens lachte und hockte sich hin, um Willie direkt anzusprechen. »Hab deinen Vater gekannt, o ja. Ein geiler alter Bock«, sagte er zu Jamie gewandt. »Aber von Pferden hat er was verstanden, der alte Graf.
Weitere Kostenlose Bücher