Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Todesangst vor dem Schotten – obwohl Grey glaubte, dass dies eher an Tom lag, der ein gutes Gespür für das Zwischenmenschliche besaß und wahrscheinlich die gewalttätigen Schwingungen zwischen ihm und Fraser aufgefangen hatte, als an ihrem tatsächlichen Umgang miteinander.
Als man ihn jedoch davon unterrichtete, dass er sich zusätzlich zu Greys auch um Hauptmann Frasers leibliches Wohl kümmern würde, hatte Tom tapfer in den sauren Apfel gebissen und sich bei der Erstellung der Liste für den Schneider äußerst hilfsbereit gezeigt. Herrenkleidung war seine große Leidenschaft, und seine Nervosität hatte beträchtlich nachgelassen, während sie besprachen, was wohl geeignet sein würde.
Zu Greys Überraschung befand sich Tom Byrd im Salon, als er am Morgen hinunterkam – der Leibdiener steckte den Kopf in den Flur, um ihn anzusprechen.
»Die neuen Kleider für den Hauptmann sind da, Mylord! Kommt und seht sie Euch an!«
Tom sah Grey strahlend an, als er den Salon betrat. Überall auf den Möbeln lagen mit Musselin umwickelte Päckchen wie kleine ägyptische Mumien. Eines davon hatte Tom ausgewickelt und präsentierte jetzt einen flaschengrünen Rock mit Messingknöpfen, dessen Ärmel er liebevoll über die Sitzbank breitete.
»In dem Bündel auf dem Pianoforte sind Hemden«, teilte er Grey mit. »Ich wollte sie nicht nach oben bringen, falls der Hauptmann noch schläft.«
Grey blickte zum Fenster hinaus. Die Sonne stand am Himmel; es musste mindestens acht Uhr sein. Die Vorstellung, dass Fraser noch im Bett war, war lächerlich; er bezweifelte, dass der Mann je in seinem Leben länger als bis zur Morgendämmerung geschlafen hatte – in den letzten fünfzehn Jahren mit Sicherheit nicht. Doch Toms Bemerkung nach war er entweder nicht zum Frühstück erschienen oder hatte sich ein Tablett kommen lassen. War es möglich, dass er krank war?
Er war nicht krank. Grey hörte, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss, und als Grey in den Flur schaute, sah er Fraser vorbeigehen, das Gesicht von der Morgenluft gerötet.
»Mr Fraser!«, rief er, und Fraser fuhr herum, überrascht, aber nicht beunruhigt. Bei seinem Eintreten duckte er sich automatisch in der Tür. Er hatte eine Augenbraue fragend hochgezogen, doch seinem Gesicht war weder Sorge anzusehen, noch trug er jene verschlossene Miene, mit der er Wut, Angst oder Berechnung verbarg.
Er hat nur einen Spaziergang gemacht; er hat sich nicht mit jemandem getroffen , dachte Grey und schämte sich ein wenig dabei. Mit wem sollte er sich in London schon treffen?
»Voilà«, sagte Grey lächelnd und wies auf die Musselinpakete. Tom hatte einen Anzug in einem merkwürdig violetten Braun ausgepackt und strich mit der Hand darüber.
»Wollt Ihr Euch das wohl ansehen, Sir?«, sagte Tom, der so begeistert über die Kleider war, dass er seine Nervosität gegenüber Fraser kurzfristig vergaß. »So eine Farbe habe ich noch nie gesehen – aber sie wird Euch gut stehen.«
Zu Greys Überraschung erwiderte Fraser das Lächeln beinahe schüchtern.
»Ich schon«, sagte er und streckte die Hand aus, um den Stoff zu berühren. »In Frankreich. Couleur puce nannte man das. Der Herzog von Orleans hatte einen Anzug in dieser Farbe und war sehr stolz darauf.«
Tom bekam große Augen. Er richtete den Blick rasch auf Grey – hatte sein Herr gewusst, dass sein Gefangener mit französischen Herzogen per Du war? –, dann wieder auf Fraser.
»Püss?«, versuchte er sich an dem Wort. »Die Farbe von … Was ist denn ein Püss?«
Jetzt musste Fraser lachen, und Grey erlebte einen Moment verblüffter Freude bei diesem Klang.
»Ein Floh«, sagte Fraser zu Tom. »Vollständig heißt es ›die Farbe am Bauch eines Flohs‹, aber das ist ein bisschen viel, sogar für die Franzosen.«
Tom kniff ein Auge zu und blinzelte den Rock an, offenbar, um ihn mit den Flöhen in seiner Bekanntschaft zu vergleichen. »Es hat doch nichts mit diesem Wort Pü-ssell zu tun? Wäre das dann ein Flöhchen?«
Frasers Mund zuckte, und sein Blick huschte zu Grey hinüber.
» Pucelle ?«, sprach er es auf Französisch richtig aus. »Ich, äh, glaube nicht, obwohl ich mich natürlich irren kann.«
Grey spürte, wie seine Rippen ächzten, doch es gelang ihm, seine Worte beiläufig klingen zu lassen. »Wo habt Ihr denn das Wort › pucelle ‹ gehört, Tom?«
Tom überlegte einen Moment.
»Oh. Oberst Quarry, als er letzte Woche hier war. Er hat mich gefragt, ob mir etwas einfällt, das sich
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