Die Fäden des Schicksals
neidische Blicke zu.
»Danke, dass Sie einen für mich mitbestellt haben. Ich dachte, Sie wären schon weg.« Einige Monate zuvor hatte ich Charlie im Blue Bean getroffen. Seither tranken wir dort regelmäßig zusammen unseren Morgenkaffee. Ich gab ihm die drei Dollar, die er für mich ausgelegt hatte. Er steckte sie in die Tasche und faltete seine Zeitung zusammen.
»Wie schaffen Sie es nur, zu spät zu kommen? Sie brauchen doch bloß die Treppe hinunter und einen halben Häuserblock weit zu laufen. Wenn ich mir Ihre Frisur ansehe, dann lag es wohl kaum daran, dass sie zu lange vor dem Spiegel gestanden haben.«
»Besten Dank. Sie selbst sind morgens auch nicht gerade eine Augenweide.«
»Stimmt schon, aber wir Iren sind auch eher für Witz und Wortgewandtheit bekannt als für gutes Aussehen. Immer lässig und salopp – das macht meinen Charme aus.«
»Mir scheint, Sie haben Ihrem irischen Charme einiges zu verdanken.«
»Na ja, ich bin nun mal ein bezaubernder Mann.« Er zuckte die Achseln.
»Ja, manchmal schon.« Ich nahm einen Schluck Kaffee und schloss genießerisch die Augen.
»Hmmm! Das habe ich gebraucht. Ich bin erst um zwei ins Bett gekommen.«
»Sie waren wohl Salsa tanzen? Bisschen ins Wochenende reingefeiert, was?«
»Nicht direkt. Eher ein bisschen die Bücher auf Vordermann gebracht und dann noch mal nachgerechnet, ob ich nicht ein günstigeres Ergebnis rausbekomme.« Ich gähnte.
»Und, ist es Ihnen gelungen?«, fragte Charlie.
Ich schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Wenn sich nicht bald etwas grundlegend ändert, werden die Schwarzseher aus New Bern noch recht behalten. Denn dann könnte es sein, dass ich mit meinem Geschäft wirklich kein halbes Jahr durchhalte.«
Charlies blaue Augen blickten mich besorgt an. »Ach was, so schlimm wird es schon nicht sein«, sagte er. »Vor zwei Monaten war doch erst die großartige Eröffnung, und es hat alles so gut angefangen.«
Damit hatte er recht.
Dem Wasserrohrbruch und einer verspäteten ersten Warenlieferung zum Trotz hatte Cobbled Court Quilts unmittelbar nach dem Memorial Day Ende Mai seine Pforten geöffnet – pünktlich zu Beginn der Touristensaison. Ich war sehr erleichtert, denn eine gute Sommersaison war für mich überlebenswichtig. Immerhin rechnete ich damit, etwa sechzig Prozent meines Jahresumsatzes zwischen Ende Mai und Anfang September zu erzielen.
Um auf meine Geschäftseröffnung aufmerksam zu machen, setzte ich eine Anzeige in die örtliche Zeitung und hängte Transparente mit einem entsprechenden Hinweis an beiden Zugängen zum Cobbled Court auf. Ich heuerte sogar einen von Charlies Tellerwäschern an, der gerade freihatte, und ließ ihn Handzettel an die Passanten auf der Commerce Street verteilen. Als Eröffnungsangebot gab es zehn Fat Quarters zum Preis von sieben und einen Rabatt von fünfzehn Prozent auf alle Meterwaren und Kurse. Obendrein erhielten die Kunden Erfrischungen und eine Gratisvorlage für ein Quiltmuster in Form einer Windrose, das ich einmal für einen Kurs entworfen hatte. Das war Mary Dells Idee gewesen. Als ich ihr am Telefon mitgeteilt hatte, dass ich endlich eröffnen würde, schlug sie ein Gewinnspiel vor, als praktisches Verfahren, um an Kundenadressen zu kommen.
»Und wenn die Leute erst einmal im Laden sind und die Quilts sehen, werden sie sich eher für einen Kurs anmelden«, erklärte sie.
»Tolle Idee! Und selbst wenn sie im Augenblick nicht interessiert sind, habe ich ihre Namen und Anschriften und kann ihnen vor Sonderverkäufen und neuen Kursen einen Flyer zuschicken. Danke für die gute Idee, Mary Dell. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich zu guter Letzt doch noch meinen eigenen Quiltladen eröffne! Das ist so aufregend!«
»Ich freue mich für dich, mein Schatz«, antwortete Mary Dell in ihrer gedehnten Sprechweise. »Aber ich habe auch eine Neuigkeit. Ich wollte nicht früher darüber reden, falls nichts daraus geworden wäre, aber dann bekam ich gestern den Anruf …« Sie machte eine Pause, um mich raten zu lassen.
»Sag’s nicht!«, quietschte ich. »Dein Buch! Es wird veröffentlicht!«
Als wir uns kennenlernten, verriet Mary Dell mir, dass sie ein Buch mit dem Titel Quilten für Familien verfasst hatte. Darin gab sie Ratschläge für das Quilten mit Kindern und stellte Muster unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade vor, an denen mehrere Familienmitglieder gemeinsam arbeiten konnten. Sie hatte das Buch bereits geschrieben und mehreren Verlagen angeboten, als Howard
Weitere Kostenlose Bücher