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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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gerade erheben, als Charlie mit einer dampfenden Tasse Cappuccino zurückkam. Mit einem raschen Blick von mir zu Franklin schätzte er die Lage ein. »Abigail«, sagte er beschwichtigend. »Bleiben Sie doch und trinken Sie Ihren Kaffee. Ich habe ihn selbst zubereitet, mit einem schönen dicken Klecks Sahne.«
    »Vielen Dank, Charlie, aber ich muss gehen. Ich fühle mich nicht wohl. Setzen Sie bitte alles auf meine Rechnung und geben sie Jason zwanzig Prozent.« Ich stand auf, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm meine Handtasche, bevor ich mich noch einmal zu Franklin hinunterbeugte.
    »Du bist mein Anwalt, Franklin, und nicht mein Liebhaber, mein Pfarrer oder mein Therapeut«, knurrte ich leise mit zusammengebissenen Zähnen. »Das ist alles. Von nun an wünsche ich, dass du nur das tust, was ich dir auftrage und wofür ich dich bezahle. Und sonst nichts. Hier handelt es sich um eine Familienangelegenheit, und ich wäre dir dankbar, wenn du dich da raushalten würdest.«
    Als ich mich wieder aufrichtete, erwiderte Franklin: »Du hast recht, Abigail. Es ist eine Familienangelegenheit. Und zwar die deiner Familie. Warum handelst du nicht endlich entsprechend?«
    Ich straffte die Schultern und verließ wortlos das Restaurant.

8
    Evelyn Dixon
    Es war an einem Samstag im Hochsommer, und das bedeutete, dass bereits morgens um zehn nach sieben in der Blue Bean Coffee and Baking Company Andrang herrschte. Die Türglocke klingelte fröhlich, als ich eintrat, worauf sich sämtliche Kunden, die nach ihrem Morgenkaffee anstanden, zu mir umdrehten.
    Schon nach wenigen Monaten in New Bern war ich in der Lage, die Touristen von den Einheimischen zu unterscheiden, und zwar an ihrer Kleidung.
    Die Touristen, oder NVHs – »Nicht von hier« –, wie Charlie sie nannte, ließen sich in zwei Kategorien einteilen: diejenigen, die aus New York stammten und ausschließlich schwarze Kleidung trugen, und solche, die ebenfalls aus New York kamen, sich jedoch – vergeblich – um ein eher ländliches Outfit bemüht hatten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass jemand zur letzteren Gruppe gehörte, waren seine brandneuen Kleider in einem betont lässigen Look, die auf den ersten Blick verrieten, dass er sie erst am Tag zuvor auf der Fifth Avenue erstanden hatte.
    Nur die Einheimischen trugen den echten, oft in übertriebener Weise kopierten Neuengland-Stil: abgetretene Slipper ohne Socken, ausgeblichene Baumwollhemden mit angeknöpftem Kragen, leicht verknitterte Khakihosen und dazu – weil es nach einem Sommerregen noch kühl war – formlose, an den Ellbogen mehr oder weniger fadenscheinige Pullover. Die Leute in Neuengland erwarten gute Qualität für ihr Geld, und solange die Sachen ihnen nicht in Fetzen vom Leib hängen, tragen sie sie jahrein, jahraus. Modetrends spielen dabei keine Rolle. Ich kenne einen Mann in den Fünfzigern, der voller Stolz noch immer denselben blauen Kaschmirpullover trägt, den seine Mutter ihm einst zum Studienbeginn in Yale geschenkt hat. Der Pullover spannt mittlerweile derart über seinem beachtlichen Bauch, dass das Unterhemd durch die Maschen blitzt, doch der gute Mann ist sicher, dass der Pullover noch eine ganze Weile hält. Er ist eben ein waschechter Yankee.
    An jenem Morgen blickten Einheimische wie NVHs verdrossen drein. Die NVHs, weil sie nicht verstehen konnten, warum diese Bauerntrampel nicht so viel Personal wie bei Starbucks beschäftigten. Stattdessen stand nur ein einsames siebzehnjähriges Mädchen hinter der Theke, das die Bestellungen annahm, sie in die Kasse eintippte und dann in aller Ruhe ein Getränk nach dem anderen aufbrühte, mit Eiswürfeln versah, mischte oder aufschäumte.
    Die Hiesigen hingegen waren sauer, weil sie wussten, dass sie, wenn die NVHs nicht gewesen wären, ihren Kaffee schon vor zwanzig Minuten bekommen hätten. Obgleich ich für meinen Lebensunterhalt auf beide Gruppen angewiesen war, stand ich diesmal eindeutig auf der Seite der Einheimischen. Ich brauchte unbedingt einen Kaffee, und zwar sofort.
    An einem der beiden Tische des Blue Bean saß ein Mann, der beim Lesen mit seiner Zeitung raschelte und sich räusperte. Es war Charlie. Er ließ das Blatt sinken und blickte mich über den Rand hinweg an.
    »Sie sind spät dran« sagte er und hielt mir einen Pappbecher hin. »Ich wollte gerade Ihren Kaffee trinken.«
    »Tut mir leid.« Ich trat aus der Warteschlange und zog mir einen Stuhl heran. Die übrigen nach Koffein gierenden Kunden warfen mir

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