Die Fäden des Schicksals
Tropfen«, erklärte Franklin, während er sich noch ein Stück Brot abbrach. Seine Seelenruhe ging mir auf die Nerven.
»Sei doch nicht so pedantisch. Du weißt genau, was ich meine. So kann es nicht weitergehen. Jetzt lebt sie noch nicht einmal einen Monat unter meinem Dach, und ich könnte mir die Haare einzeln ausraufen. Ein ganzes Jahr stehe ich nie im Leben durch!«
»Abigail«, erwiderte er, »könnte es sein, dass du die Sache ein klein wenig dramatisierst?«
»Oh nein. Sie ist einfach unmöglich. Sie redet kaum ein Wort mit mir, und wenn, dann in einem unglaublich aufsässigen Ton. Man sollte doch meinen, sie wäre mir wenigstens ein winziges bisschen dankbar. Immerhin würde sie ohne mich jetzt in einer Gefängniszelle verrotten.«
»Das alles hört sich an, als wäre sie wütend.«
»Ach wirklich, Franklin?« Ich zog die Augenbrauen so hoch, wie es nur ging. »Wie scharfsinnig von dir. Natürlich ist sie wütend. Aber sie hat kein Recht, ihre Wut an mir auszulassen. Schließlich habe ich sie nicht da reingeritten. Bevor Harry Gulden sie mir aufgehalst hat, habe ich sie kaum jemals gesehen.«
»Das stimmt. Sie ist zwar deine Nichte, aber du hattest ja nichts mit ihr zu schaffen. Was sollte sie also schon gegen dich haben? Schließlich hast du nichts getan, außer sie und ihre Mutter während der letzten neunzehn Jahre sich selbst zu überlassen.«
Ich sah auf und begegnete seinem vorwurfsvollen Blick. »Das ist ungerecht, Franklin, und das sollte gerade dir klar sein. Du weißt genau, was Susan mir angetan hat.«
»Ja, sicher, aber das ist Jahre her. Hättest du nicht wenigstens zuletzt zu ihr gehen können? Schließlich lag sie im Sterben.«
»Und was hätte es geändert, wenn ich an ihr Bett geeilt wäre und so getan hätte, als wäre alles vergeben und vergessen?«, fauchte ich. »Du redest, als wäre ich vollkommen herzlos, und das ist einfach ungerecht! Du weißt, ich habe getan, was ich konnte. Ich habe dafür gesorgt, dass genug Geld für Susans Ärzte da war und hinterher für Lizas Ausbildung. Du hattest den Auftrag, dich darum zu kümmern, dass es ihnen an nichts fehlt.«
Franklin sah mich an und sagte mit kalter Stimme: »Genauer gesagt sollte ich mich darum kümmern, dass es ihnen an nichts fehlt und sie dich nicht persönlich belästigen. In finanzieller Hinsicht warst du großzügig, Abigail, doch mit deiner Vergebung knauserig.«
»Ich wollte sie nur schonen«, zischte ich. »Damit sie sich nicht genieren mussten, Geld von mir anzunehmen, solltest du die Geschichte von Onkel Dwight erfinden, der Susan nach seinem Tod etwas vererbt hatte. Auf diese Weise brauchten sie sich mir nicht verpflichtet zu fühlen.«
»Ich weiß nicht, ob du selbst glaubst, was du da sagst, Abbie. Vielleicht solltest du es lieber noch ein paarmal proben.«
»Franklin Spaulding, wie kannst du es wagen!« Jetzt reichte es mir; ich war fuchsteufelswild. Doch das schien ihn nicht zu stören.
»Abbie, ich habe dich immer für eine ganz außerordentliche Frau gehalten – kompliziert, wie Charlie richtig bemerkte, aber dennoch faszinierend. Doch du hast immer alle auf Armeslänge von dir ferngehalten. Selbst mich, der ich dich und deine Geheimnisse seit dreißig Jahren kenne und deine persönlichen Angelegenheiten bis ins kleinste Detail geregelt habe. Genauso war es bei Susan, obwohl sie dir einst näherstand als jeder andere Mensch auf der Welt. Ich weiß, sie hat dich schrecklich verletzt, aber wenn du es schon nicht über dich bringen konntest, Susan gegenüberzutreten oder ihr zu verzeihen, dann hättest du wenigstens Liza die Hand zur Versöhnung reichen können. Nach Susans Tod hatte sie niemanden mehr, der für sie da war.«
»Niemanden außer dir! Ich habe gehört, wie sie im Büro des Richters mit dir geredet hat. Offenbar warst du bereit, für sie da zu sein, und nun siehst du, was dabei herausgekommen ist. Sie wollte zu dir, doch aus irgendeinem Grund muss ich nun ausbaden, was du angerichtet hast, weil du dich unbedingt in anderer Leute Privatangelegenheiten einmischen musstest. Wer hat dich darum gebeten? Du solltest lediglich dafür sorgen, dass sie genug Geld zur Verfügung hatte. Sonst nichts!« Unwillkürlich hatte ich schon wieder die Stimme erhoben. Einige Gäste verrenkten sich die Hälse nach uns, während die meisten geflissentlich wegsahen. Es war mir entsetzlich peinlich. Ich atmete tief durch, tupfte mir den Mund mit der Serviette ab und legte sie dann auf den Tisch.
Ich wollte mich
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