Die Fäden des Schicksals
Zehntausend?«
»Fünfzehn«, antwortete Franklin, ohne von seinem Teller aufzublicken. Nachdem er die Zwiebeln säuberlich aussortiert hatte, widmete er sich nun den Resten seines Salats. Ich dagegen hatte erst ein paar Happen von meinem Lachs gegessen. Franklin hatte recht, er aß wirklich zu schnell.
»Siehst du? Genau das meinte ich. Ich weiß moderne Kunst mehr zu würdigen als die meisten anderen Leute. Aber das?! Stell dir vor, soeben hat sie ein angebliches Selbstporträt vollendet, das ausschließlich aus Kronkorken besteht, und hatte doch tatsächlich die Stirn zu fragen, ob sie es in der Halle aufhängen darf! Als ich ihr großzügig vorschlug, es vielleicht lieber in ihrem Zimmer aufzuhängen, knallte sie die Tür hinter sich zu und kam den ganzen Tag nicht mehr heraus.«
»Du weißt doch, wie es so schön heißt, Abigail – die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Vielleicht wollte sie dir etwas mitteilen, damit du sie besser verstehst. Es stimmt, rechtlich gesehen ist Liza erwachsen. Andererseits ist sie noch sehr jung, ein Teenager, und hat obendrein auch noch ihre Mutter verloren. Ich war weiß Gott nicht der ideale Vater, aber letzten Endes ist doch etwas aus Janice und Caitlin geworden. Wenn man gut mit jungen Leuten auskommen will, sollte man versuchen, die Welt mit ihren Augen zu betrachten, und auch mal einen Kompromiss mit ihnen schließen.«
»Mit Terroristen verhandele ich nicht«, entgegnete ich nur halb im Spaß.
Franklin ignorierte meinen Einwand. »Wirklich, Abbie, hätte es dich denn umgebracht, ihr Bild dort aufzuhängen, wo man es sehen kann?«
»Darum geht es nicht!« Langsam ärgerte es mich, dass Franklin so wenig Verständnis für meine Situation aufbrachte. Auf wessen Seite stand er eigentlich? »Ich wüsste nicht, was es da zu verhandeln gibt. Es ist mein Haus, und ich mag es so, wie es ist. Meine Eingangshalle wurde im Architectural Digest vorgestellt. Ich werde ganz gewiss nicht meine sorgfältig platzierten Gemälde abnehmen und dafür eine Collage von Lizas Gesicht aus dreckigen, verrosteten Flaschenverschlüssen aufhängen. Das ist keine Kunst, sondern ein Zeichen von Zügellosigkeit, und ich finde, diese Eigenschaft hat Liza schon zur Genüge unter Beweis gestellt.«
Die bloße Erinnerung an den Vorfall mit dem Pullover brachte mich erneut in Rage, und erst, nachdem ich fertig war, merkte ich, wie laut ich gesprochen hatte und wie heiß meine Wangen brannten. Charlie Donnelly erschien an unserem Tisch.
»Entspricht alles Ihren Wünschen? Franklin? Wie ist Ihr Lachs, Abigail – dunkel genug?«
Ich atmete tief durch und zwang mich zu einem Lächeln. »Genau richtig. Beinahe so schwarz wie mein Herz, wenn man meiner Nichte Glauben schenken darf.« Mein Lachen sollte leicht und beiläufig klingen, doch es gelang mir nicht. Da ich mehrmals in der Woche im Grill esse, weiß Charlie über die Sache mit Liza Bescheid.
»Verzeih mir, Charlie. Ich wollte nicht laut werden, aber Ersatzmutter zu spielen ist ganz schön anstrengend.«
Charlie lächelte gewinnend und richtete seinen geballten irischen Charme auf mich. »Da gibt’s nichts zu verzeihen, Abigail. Wir beide verstehen uns. So wie Sie sind mir die Frauen am liebsten – kompliziert.«
Als er mir auch noch zublinzelte, musste ich lachen, und zwar diesmal aufrichtig.
»Ich hole Ihnen gleich Ihren üblichen koffeinfreien Cappuccino. Der wird Sie wieder aufmuntern. Möchten Sie auch noch etwas, Franklin? Eine Portion Schokoladen-Brot-Pudding vielleicht? Sie können doch nicht nur mit einem Salat im Magen wieder an die Arbeit gehen.«
Franklin schüttelte den Kopf. »Nein danke, Charlie. Ich versuche, ein paar Pfund abzunehmen.«
Charlie nahm Franklins leeren Teller, wischte einige nicht vorhandene Brotkrümel von der Tischdecke und ging, um meinen Cappuccino zuzubereiten.
Mittlerweile hatte ich mich beruhigt und griff mit gesenkter Stimme den Faden der Unterhaltung wieder auf. »Entweder war meine Schwester die schlechteste Mutter der Welt, dass ihre Tochter sich derartig benimmt, oder sie hat das Kind irgendwo auf dem Feld unter einem Kohlblatt aufgelesen. Obwohl Susans zahlreiche Fehler allgemein bekannt waren, ist es kaum zu glauben, dass sie so ein missratenes Gör großgezogen haben soll. Bestimmt war das Mädchen ein Findelkind, oder es ist im Krankenhaus vertauscht worden. Ich weigere mich zu glauben, dass Liza und ich auch nur einen Tropfen DNS gemeinsam haben!«
»DNS bildet Stränge und keine
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