Die Fäden des Schicksals
heutige Aktion vorzubereiten, dass ich nicht dazu gekommen bin. Deshalb kann ich nicht sagen, welche Artikel gut oder weniger gut laufen und was ich nachbestellen muss. Und weil ich auch die Abrechnung für den letzten Monat noch nicht gemacht habe, weiß ich nicht, ob ich schon ganz oder nur fast pleite bin.« Sie begleitete ihren Galgenhumor mit einem kleinen Lächeln. Trotz ihres Zusammenbruchs bewunderte ich ihre Stärke. Sie war härter im Nehmen, als ich gedacht hatte.
Margot stieß ein mädchenhaftes Kichern aus, das in merkwürdigem, aber nicht unangenehmem Gegensatz zu ihrem geschäftsmäßigen Verhalten stand. »Na ja, das sollten wir wohl besser herausfinden.« Sie schrieb »Inventur« auf ihre Liste.
»Liza, da wir beide ja momentan ohne festen Job sind, haben wir genügend Zeit. Sie haben mir erzählt, dass Sie neben der Highschool in einem Musikgeschäft gejobbt und dort auch bei der Inventur mitgeholfen haben. Würden Sie das dann vielleicht übernehmen?«
»Sicher. Ich habe ja sonst nichts zu tun. Wenn Sie wollen, kann ich schon morgen damit anfangen.«
»Morgen ist Sonntag; also warten wir lieber noch einen Tag. Wir können alle ein bisschen Ruhe gebrauchen. Und dann helfe ich Ihnen.« Margot schrieb ihren und Lizas Namen neben die Aufgabe, bevor sie an Evelyn gewandt fortfuhr: »Ich bin zwar keine Buchhalterin, aber mit dem Computer kann ich ziemlich gut umgehen. Ich werde Ihnen ein Buchhaltungsprogramm installieren, das bei jedem Verkauf den Warenbestand sowie Gewinn und Verlust aktualisiert. Das wird Ihnen in Zukunft eine Menge Zeit ersparen. Haben Sie übrigens eine eigene Website?«
Evelyn schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe daran gedacht, doch mir fehlte die Zeit, und außerdem wusste ich nicht recht, wie ich es anfangen sollte.«
Mit einem Kopfnicken notierte Margot »Website« und daneben ihren Namen. »Ich richte Ihnen so schnell wie möglich eine ein. Bis dahin können wir uns mit einer vorgefertigten Seite behelfen. Das ist zwar nicht so toll, aber es kostet nicht viel, und Sie sind wenigstens im Internet. Das ist eine großartige Werbung. Da fällt mir etwas ein«, überlegte sie. »Ich werde bei der Zeitung anrufen und fragen, ob sie den Artikel über Sie nicht noch einmal in überarbeiteter Form mit aktuellen Informationen veröffentlichen können. Vielleicht bringen ihn auch noch weitere Zeitungen in der Region. So etwas kurbelt das Geschäft an.« Rasch kritzelte sie »Zeitungsartikel« neben ihren Namen.
»Im Augenblick bleibt nur noch eine Sache, und zwar der Laden selbst. Wann hatten Sie zum letzten Mal einen freien Tag, Evelyn?«
Evelyn lachte. »Einen freien Tag? Was ist das? Ich bin immer hier. Selbst nach Ladenschluss arbeite ich weiter und versuche, all die Dinge aufzuholen, zu denen ich tagsüber nicht gekommen bin. Ich würde gern eine Hilfe einstellen, aber das geht erst dann, wenn der Laden Gewinn abwirft.«
»Das ist ja schrecklich!«, rief ich. »So können Sie doch nicht weitermachen! Kein Wunder, dass Sie heute zusammengeklappt sind. Wahrscheinlich waren Sie schon vor der Diagnose am Ende ihrer Kräfte. Sie müssen es ein wenig ruhiger angehen lassen, vor allem, wenn Sie mit der Therapie beginnen. Sie brauchen unbedingt eine Hilfe!«
»Da hat sie recht«, pflichtete Margot mir bei. »Zum Glück können zwei von uns einspringen. Sowohl Liza als auch ich haben schon mal in einem Geschäft gearbeitet und können Ihnen während der Öffnungszeiten unter die Arme greifen. Was ist mit Ihnen, Abigail? Haben Sie Erfahrungen im Einzelhandel?«
Bevor ich antworten konnte, kam mir Liza zuvor: »Oh, das will ich wohl meinen«, sagte sie mit vor Ironie triefender Stimme. »Bei meiner Tante dreht sich alles im Leben ums Kaufen. Schuhe, Handtaschen, Schmuck, Möbel, Kunstwerke – sie hat einfach alles.« Sie bedachte mich mit dem altgewohnten Zornesblick.
»Und was ist mit dir?«, gab ich zurück. »Sollen wir ihnen von deinen Erfahrungen mit dem gehobenen Einzelhandel von New Bern berichten?« Ich blickte die beiden anderen Frauen an. »Sie hat nämlich einen Kaschmirpullover zu einem unglaublich günstigen Preis ergattert. Er war geradezu schändlich billig.« Ich schenkte meiner Nichte ein zuckersüßes Lächeln, worauf sie mich mit ihren Blicken durchbohrte, aber kein Wort mehr sagte. Das hatte gesessen!
»Nun gut, das wär’s dann wohl!« In einer abschließenden Geste klatschte Margot in die Hände. »Ich glaube, fürs Erste haben wir an alles gedacht. Aber
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