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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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Scheckheft und Stift schon, aber …«
    Ich unterbrach ihn, bevor er sich noch weiter über mich lustig machen konnte. »Offensichtlich hast du dich wieder mit Liza unterhalten. Ehrlich, Franklin, ich verstehe nicht, was du an dem Mädchen findest.«
    Doch er ließ sich auf keinen Streit ein. »Also«, hakte er nach, »hat es dir Spaß gemacht?«
    »Es war … interessant.«
    »Interessant? Tatsächlich? Na, das ist ja mehr, als ich erwartet hätte. Irgendetwas muss dir wohl daran gefallen haben.«
    »Hmmm.« Ich zuckte unverbindlich mit den Schultern, während ich mein Glas auf die Theke stellte. »Es war ein langer Tag, Franklin. Ich werde Stephen jetzt gratulieren und dann nach Hause gehen.«
    »Ist alles in Ordnung mit dir, Abigail? Du kommst mir heute Abend verändert vor – so nachdenklich. Lass das lieber, Abbie. Es könnte nämlich zur Gewohnheit werden.«
    »Mir geht’s gut; ich bin nur müde. Mir geht so viel im Kopf herum.«
    »Siehst du, was habe ich dir gesagt?« Als ich nicht auf seine Neckereien einging, wurde Franklins für gewöhnlich heiterer Blick ernst. »Geht es wieder um Liza? Möchtest du mit mir darüber reden? Das letzte Mal war mein Rat nicht sehr willkommen, aber du weißt ja, ich habe immer ein offenes Ohr für dich.«
    »Ja, sicher«, antwortete ich leichthin. »Ihr Rechtsanwälte habt immer ein offenes Ohr – solange ihr ein Stundenhonorar dafür berechnen könnt.«
    »Ich arbeite doch gegen Pauschalhonorar für dich, Abigail. Also bezahlst du mich sowieso, egal ob ich dir nun zuhöre oder nicht. Du solltest auch in Anspruch nehmen, wofür du schon gutes Geld hingeblättert hast.« Er lächelte. »Im Ernst, ist wirklich alles in Ordnung? Soll ich dich nach Hause fahren?«
    »Lieb von dir, vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Es ist ein schöner Abend, und der Spaziergang wird mir guttun. Gute Nacht, Franklin.« Ich beugte mich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Gute Nacht, Abigail.«
    Ich hatte die Wahrheit gesagt; mir ging wirklich viel im Kopf herum. Die Ereignisse des Tages beschäftigten mich und machten mich ganz konfus. Erst auf meinem Heimweg durch die frische Herbstluft, als die ersten trockenen Blätter unter meinen Schritten raschelten und ich – wie ein Schauspieler, der das Rampenlicht sucht – auf dem Gehsteig vom begrenzten Lichtkreis einer Straßenlaterne zum nächsten schritt, fiel mir wieder ein, dass ich tatsächlich Stephen Pearl erlaubt hatte, vorbeizukommen und meine Versicherungen zu »checken«.
    Ich musste noch konfuser gewesen sein, als ich dachte. Ich beschloss, Franklin am nächsten Tag anzurufen, damit er sich um die Sache kümmerte. Vielleicht sollte ich ihn bitten, Stephen ein Geschäft zuzuschanzen. Eine Lebensversicherung zum Beispiel. Ich könnte sie zu Lizas Gunsten abschließen, denn immerhin war sie meine einzige lebende Verwandte.
    Meine einzige lebende Verwandte. Ich hielt inne und stand reglos und stumm in der Dunkelheit zwischen zwei Lichtkreisen. Meine einzige lebende Verwandte. Heute vor einem Jahr war meine Schwester gestorben.
    Ich legte die Hand auf den Mund. Irgendwo in der Ferne rief eine Eule nach einem Artgenossen, doch es kam keine Antwort. Durch das Gitter meiner gespreizten Finger flüsterte ich einen Namen in die Nacht.
    Das Haus war dunkel, als ich eintrat. Liza hatte vor dem Schlafengehen das Licht ausgemacht. Ich hängte meinen Mantel auf, legte die Handtasche auf die Anrichte und stieg die Treppe zu meinem Schlafzimmer hinauf. Auf der knarrenden fünften Stufe trat ich vorsichtig auf, um Liza nicht zu wecken. Doch als ich durch den schwach erleuchteten Flur schlich und am Gästezimmer vorüberkam, war mir, als hörte ich etwas. Ich legte das Ohr an die Tür und vernahm ersticktes Weinen.
    Schon hob ich die Hand, um anzuklopfen, doch mein Arm verharrte auf halbem Weg. Ich brachte es einfach nicht fertig. Stattdessen legte ich die Wange an die Tür und flüsterte: »Liza?« Es kam keine Antwort. »Liza? Ist alles in Ordnung?«, fragte ich noch einmal ein wenig lauter.
    Daraufhin brach das Weinen unvermittelt ab. Ich hörte ein Rascheln, als würde sie sich unter der Bettdecke bewegen, dann war alles still. Ich wartete noch eine Weile, bevor ich durch den Flur zu meinem Zimmer ging und mich zu Bett begab. Während ich dalag und aus dem Fenster blickte, überlegte ich, ob Liza wohl eingeschlafen war, und lauschte dabei auf die sehnsuchtsvollen Rufe der Eulen in der Dunkelheit.

14
    Evelyn Dixon
    Als Abigail an

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