Die Fäden des Schicksals
Lieblingsspruch meiner Mutter: »Jeder ist seines Glückes Schmied. Hör auf, dir selbst leidzutun.«
Nachdem ich mir selbst diesen guten Rat gegeben hatte, beschloss ich, ein wenig Weihnachtsstimmung zu zaubern. Ich hatte so viel Zeit und Mühe investiert, um den Laden für die Festtage hübsch herzurichten, dass ich darüber meine eigene Wohnung ganz vergessen hatte. Kein Wunder, dass ich so niedergedrückt war.
Ich legte eine CD mit Weihnachtsliedern ein, die Garrett während seiner Zeit auf dem College für mich aufgenommen hatte, und lauschte beim Essen der Musik. Nachdem ich das Geschirr gespült hatte, holte ich die Schachteln mit der Aufschrift »Weihnachtsschmuck« aus dem Schrank. Schnell wurde mir klar, dass ich in meiner fünfundsechzig Quadratmeter großen Einzimmerwohnung nicht alles unterbringen konnte, womit ich mein 280-Quadratmeter-Haus in Texas dekoriert hatte. Und für die eine Woche bis Weihnachten lohnte sich der Aufwand ohnehin nicht mehr. Daher beschränkte ich mich auf zwei Dinge: die Krippe aus Keramik, die meiner Mutter gehört hatte, und einen Weihnachtsbaum.
Ich hätte lieber einen richtigen Baum gehabt, doch Rob wollte unbedingt einen künstlichen. Er sagte immer, ein echter Weihnachtsbaum sei zu teuer und würde nur nadeln.
»Da ist doch praktisch kein Unterschied«, war sein alljährlicher Standardspruch. »Die künstlichen sind sogar noch schöner. Du findest keinen echten Baum mit einem so geraden Stamm.«
Da hatte er recht, aber das meinte ich ja gerade: Ein unechter Baum war eben nicht dasselbe wie ein echter. Er sah nicht genauso aus, und vor allem duftete er nicht so. Was mich betraf, so war der würzige Harzduft das Schönste beim Baumschmücken. Dennoch war ein künstlicher Baum immer noch besser als gar keiner. Also zog ich die Plastik-zweige aus ihrer Schachtel und steckte sie in den einen Meter fünfzig hohen Stamm. Zu meiner Belustigung stellte ich fest, dass der Boden nach dieser Prozedur mit Plastiknadeln übersät war.
Nachdem ich die Nadeln aufgefegt hatte, öffnete ich die übrigen Schachteln und wickelte die Weihnachtsbaumkugeln aus ihrer dicken Umhüllung aus Küchenpapier. Darunter war auch eine Kugel, die Garrett als zahnlos lächelnden Säugling nebst der Aufschrift »Babys erstes Weihnachten« zeigte. Schließlich fand ich die Lichterketten.
Natürlich waren sie vollkommen verheddert, und es dauerte eine Ewigkeit, bis ich sie entwirrt hatte. Als ich damit fertig war, wickelte ich sie um die Zweige, hängte den Schmuck auf und steckte den Stecker in die Dose, nur um festzustellen, dass zwei der Lichterketten nicht brannten. Ich brummelte ungehalten vor mich hin. Ich hätte sie eben testen sollen, bevor ich sie in den Baum hängte. Zum letzten Mal hatten wir die Lichterketten vor zwei Jahren benutzt. Damals war es Robs Aufgabe gewesen, sie zu entwirren und auf schadhafte Birnchen zu überprüfen, während ich den Baum-schmuck auspackte und Garrett sich als DJ betätigte und Weihnachtsmusik auflegte. Zwei Jahre. Als wir noch eine Familie waren. Als alles noch sicher und festgefügt erschien und die einzigen Veränderungen im Ablauf des Festes, die ich mir vorstellen konnte, Garretts zukünftige Frau und Kinder betrafen, die den Kreis unserer Familie vergrößern und unser Weihnachtsfest mit jedem Jahr schöner machen würden.
Stattdessen war der Kreis von drei Personen auf eine – nämlich mich – geschrumpft. Und nächstes Jahr?
Den ganzen Tag über hatte ich versucht, nicht an die Zukunft zu denken. Ich wollte Dr. Finneys Rat befolgen und die Feiertage genießen, ohne darüber nachzugrübeln, was im Januar auf mich zukam.
Die jüngsten Untersuchungen hatten ergeben, dass ich in beiden Brüsten Krebs hatte. Angesichts dieser Tatsache, und weil es bei der Lumpektomie nicht gelungen war, das erkrankte Gewebe restlos zu entfernen, riet Dr. Finney jetzt zu einer beidseitigen Mastektomie. Auf ihr Drängen hin und in der Hoffnung, dass sie sich irrte, holte ich die Meinung zweier weiterer Ärzte ein, doch beide teilten Dr. Finneys Einschätzung. Also erklärte ich mich mit dem Eingriff einverstanden, war jedoch entgegen dem Rat der Ärztin nicht bereit, meinen Angehörigen und Freunden etwas davon zu erzählen – zumindest nicht mehr vor den Feiertagen. Weihnachten sollte unbedingt so fröhlich und normal wie möglich verlaufen. Was immer das jetzt heißen mochte.
Doch als ich so im Schneidersitz auf dem Boden saß, umgeben von verknäulten Lichterketten
Weitere Kostenlose Bücher