Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
Vom Netzwerk:
höher auf die Nase schob und sich hinunterbeugte, um das Werk zu begutachten. »Ich finde die Farben einfach wunderschön. Alles in Blau und Grün. Das wirkt fröhlich und beruhigend zugleich. Ich wünschte, ich hätte so viel Geschmack wie Sie.«
    Eine andere Frau, die in meinem Kurs einen Windrosenquilt gefertigt hatte, drängte sich näher heran. »Seht mal, wie exakt die Spitzen sind! Es ist kaum zu glauben, dass Sie Anfängerin sind!« Zustimmendes Murmeln kam von den Übrigen. »Was ist Ihr Geheimnis?«
    Abigail dankte der Frau und versicherte ihr, dass sie kein Geheimnis habe. Dann lenkte sie von ihrer Person ab, indem sie sich bei der Bewunderin nach deren eigenem Projekt erkundigte. Mir war aufgefallen, dass Abigail es stets so machte. Sobald die Rede auf sie selbst kam, verstand sie es, dem Gespräch unmerklich eine andere Richtung zu geben, bis der Fragende schließlich von sich selbst erzählte. Auf der ganzen Welt gab es bestimmt keine bessere Interviewerin als Abigail Burgess Wynne. Sie wusste, dass beinahe jeder gern über sich selbst spricht. Zum wiederholten Mal fragte ich mich, warum sie so ungern etwas von sich preisgab. Es leuchtete mir einfach nicht ein. Doch neuerdings schien sich das zu ändern. Vor einiger Zeit hatte sie mir, ohne dass ich allzu sehr bohren musste, gut zehn Minuten lang von ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Frauenhaus und der kleinen Bethany erzählt, für die der Quilt bestimmt war.
    Ein paar Minuten später blickte ich von meiner Arbeit auf und sah Abigail noch immer in ein Gespräch mit einer der anderen Quilterinnen vertieft. Sie wirkte noch nicht unbedingt entspannt, doch schon wesentlich gelöster. Wie gesagt, beim Quilten bleibt man sich nie lange fremd.
    Es war ein langer, aber erfolgreicher Tag gewesen. Als das Tageslicht verblasste und die dicken Schneemänner in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne lange Schatten warfen, packten alle ihre Utensilien zusammen und machten sich auf den Heimweg. Ich war traurig und wollte nicht, dass die Nacht hereinbrach.
    Jeder hatte einen Platz, wohin er gehen konnte. Liza ging mit einer Freundin ins Kino, und Margot hatte Chorprobe in der Kirche. Als es sich abzeichnete, dass sie noch eine Weile in New Bern bleiben würde – zumindest bis ins neue Jahr, wenn die Firmen wieder anfingen, Leute einzustellen –, war sie der Kirchengemeinde beigetreten. Wie immer am letzten Samstag vor Weihnachten musste Abigail auf eine Reihe Partys gehen. Ich hätte gern Charlie angerufen und ihn gefragt, ob wir zusammen essen könnten. Doch ich wusste, dass er dafür zu beschäftigt war.
    Im Grill herrschte Hochbetrieb. Die Leute aus der Stadt, die in New Bern Wochenendhäuser besaßen, waren über die Feiertage gekommen und hatten jede Menge Freunde mitgebracht, damit sie die schneebedeckten Hügel, die malerischen Geschäfte und die alten Häuser bewundern konnten, die mit Kränzen und Girlanden aus Tannengrün geschmückt waren und in deren Fenstern jeweils eine einzelne Kerze brannte. Nach einem Bummel durch die Antiquitätenläden und Geschäfte, einer Schlittenpartie, einem Tag, den sie auf der Skipiste oder müßig vor dem behaglichen Kamin verbracht hatten, strömten Einheimische und Besucher gleichermaßen in den Grill am Anger. Jeden Abend war das Lokal bis auf den letzten Platz besetzt, sodass selbst die Stammgäste einen Tisch reservieren mussten. Und auch Charlies Partyservice lief auf Hochtouren. Abigail musste sich an diesem Abend auf sechs Feiern sehen lassen, von denen drei vom Grill beliefert wurden. Charlie war so beschäftigt, dass ich ihn seit Wochen nicht mehr gesehen hatte. Selbst für unseren gemeinsamen Morgenkaffee fehlte ihm vorübergehend die Zeit.
    Ich zählte das Geld in der Kasse nach, schloss die Ladentür ab, schaltete das Licht aus, ging nach oben und stellte einen Teller mit Resten in die Mikrowelle. Während ich an die Arbeitsplatte gelehnt darauf wartete, dass das Klingelzeichen ertönte, sagte ich seufzend zu mir selbst: »Arme Evelyn. Alle können irgendwo hingehen, nur du nicht. Du Arme.«
    Als die Zeitschaltuhr klingelte, nahm ich den Teller mit den Überbleibseln des Chinahühnchens aus dem Ofen. »Das ist doch einfach albern«, tadelte ich mich. »Benimm dich nicht wie ein Baby! Schließlich hast du es warm und gemütlich an diesem bitterkalten Abend, eine schöne Portion von deinem Lieblingsessen und den ganzen Abend für dich. Was ist daran auszusetzen?«, fragte ich und zitierte einen

Weitere Kostenlose Bücher