Die Fährte der Toten
Gefühl, dass das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Noch ist er ihr über. Und solange wird sie mitspielen müssen.
Lee schüttelt zähneknirschend den Kopf und geht in die Hocke, eine Zeitlang in den Wald starrend, als würde ihr die Dunkelheit darin eine Antwort geben können. Dann holt sie ihr Messer aus dem Stiefelschaft hervor und betrachtet den matten Glanz der Klinge, die locker und leicht in ihrer Hand liegt, fast wie eine Feder. Eine alte Vertraute und eine gute Freundin.
'Ein Messer ist eine sehr intime Waffe. Viel persönlicher als eine Pistole. Und so viel praktischer.'
So die Worte des großen Weisen unter den Killern, auch bekannt unter dem Namen Frank Gettys. Wo er Recht hat, hat er Recht, denkt sie. Nicht das sie einen gute Schusswaffe nicht zu schätzen weiß. Aber wenn sie die Wahl hat, benutzt sie ihr Messer. Ein Messer hinterlässt keine Spuren. Eine Kugel erzählt eine Geschichte. Natürlich, eine Klinge tut das auch. Aber nicht die der Hand, die sie geführt hat. Sondern von nichts anderem als dem Moment, wenn Stahl auf Fleisch trifft.
Instinktiv spürt sie einen Vorgeschmack auf dieses animalische Gefühl der Macht, das mit dem Töten einhergeht. Lee lächelt. Die Kugel ist ein Verräter. Die Klinge ist eine Freundin. Und wahre Freunde verraten einen nie. Nicht wahr?
Mit einer langsamen Bewegung steckt Lee das Messer weg, setzt die Brille auf und geht langsam zum Haus zurück.
Menschen / 2
Tanyas Atem geht schwer, während sie sich mühsam aufrappelt. Sie spürt einen Kotzreiz und für einen Moment tanzen Sterne vor ihren Augen. Ängstlich schaut sie zu ihren Peinigern auf, während sie sich das dünne Rinnsal Blut wegwischt, das aus ihrer Nase läuft. Ihr Klient schenkt ihr ein abschätziges Lächeln, während sein Mann fürs Grobe mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck einen Schritt auf sie zu macht und die Hände locker-lässig-entspannt übereinanderlegt, ganz so, als hätte er ihr gerade eben nicht eine geknallt, sondern sie höflich aufgefordert, es sich doch einfach ein wenig bequem zu machen.
Das kann doch alles nicht wahr sein, denkt sie. Dies ist ein First-Class-Hotel. So was kann hier eigentlich nicht laufen. Nur blöde, dass sie da wohl einem tödlichen Irrtum aufgesessen ist.
Denn das hier ist kein Spiel mehr. Sondern bitterer Ernst. Das hat sie nun davon, dass sie hier die Möchtegern-Professionelle spielt. Wie zur Hölle ist sie bloß in diese Scheiße hineingeraten?
***
Tanyas Schicht war nicht gerade prickelnd gelaufen. Die Kundschaft war geizig gewesen, und es war gerade genug Kohle für die Wochenmiete zusammen gekommen. Sie hatte sich gerade von Gerald einen Drink geben lassen, als sie eine Stimme hinter ihrem Rücken vernommen hatte.
'Guten Abend Miss. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Mein Name ist Luz.'
Tanya hatte sich umgedreht und den Typen von der Seite angesehen. Ein breitschultriger Kerl mit einem Gesicht wie ein Frettchen mit wässrigen Augen, die eine eigenartige Kälte verströmten.
'Wenn ich jetzt nein sage, würde es noch was ändern?'
Klasse, hatte sie gedacht, schon wieder einer von diesen Idioten, die meinen, weil du hier an der Stange rumturnst, bist du automatisch Teil des horizontalen Gewerbes. Oder wenigstens zuständig für jeden, der eine selten blöde Anmache ausprobieren will.
Luz hatte jedoch keine Miene verzogen und ihre Antwort einfach weggelächelt.
'Mein...Klient...würde sich sehr freuen, wenn Sie ihm für den Rest des Abends Gesellschaft leisten würden. Er war sehr angetan von Ihren Darbietungen und würde gerne eine kleine...Zugabe...im privaten Rahmen genießen.'
Tanya hatte den Mund verzogen.
'Dann teil deinem Klienten mal mit, dass ich für kein Geld der Welt mit ihm ins Bett gehen werde.'
'Es tut mir leid, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt habe. Mein Klient möchte Ihre tänzerischen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Und sonst nichts. Es geht ihm um den ästhetischen Genuss. Nicht um den...anderweitigen.'
Seinen Worten war ein kühles Lächeln gefolgt, das ihr eine Warnung hätte sein sollen. Dummerweise wurde ihr Verstand mit dem nächsten Satz in den zeitweiligen Ruhestand geschickt – was von Luz wohl auch so geplant war.
'Das Angebot lautet wie folgt – fünfhundert dafür, dass Sie darüber nachdenken. Weitere fünfhundert, wenn Sie in der nächsten Stunde...' er hatte ihr die Visitenkarte eines
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