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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wartete der Kerl? Er hatte doch abgezogen. Zwölf Sekunden. Vielleicht hatte er etwas gehört. Vielleicht versuchte er, das Weite zu suchen. Roger fiel ein, dass es dort drinnen oben an der Wand ein kleines Fenster gab. Scheiße! Das war jetzt seine Chance, er durfte den Kerl nicht einfach davonkommen lassen. Roger schlich sich an dem Schrank mit dem Morgenmantel vorbei, der Petra so gut stand, baute sich vor der Badezimmertür auf und legte eine Hand auf die Klinke. Er hielt die Luft an und wollte gerade die Tür öffnen, als er einen leichten Luftzug spürte. Nicht wie von einem Ventilator oder einem geöffneten Fenster. Das war etwas anderes.
    »Freeze«, sagte eine Stimme unmittelbar hinter ihm. Und genau das tat Roger auch, nachdem er den Kopf gehoben und einen Blick in den Spiegel an der Tür geworfen hatte. Er fror derart, dass seine Zähne klapperten. Die Türen des Kleiderschranks waren aufgegangen und darin konnte er zwischen den Morgenmänteln eine große Gestalt erahnen. Doch das war nicht der Grund für sein plötzliches Frieren. Der Psychoschock, den man bekommt, wenn man entdeckt, dass jemand eine Waffe auf einen richtet, die viel größer als die eigene ist, wird nicht gerade geringer, wenn man sich mit Waffen ein bisschen auskennt. Ganz im Gegenteil, schließlich weiß man dann, um wie viel effektiver großkalibrige Kugeln einen menschlichen Körper zerstören können. Und Rogers Taurus PT92C war eine Knallerbsenpistole im Vergleich zu dem gewaltigen, schwarzen Monster, das er im Mondlicht hinter sich ausmachte. Ein schwirrendes Geräusch ließ Roger aufblicken. Das wenige Licht spiegelte sich in etwas, das wie eine Angelschnur aussah und von dem Spalt über der Badezimmertür zum Schrank führte.
    »Guten Abend«, flüsterte Roger.
     
    Als der Zufall es wollte, dass sechs Jahre später ein Gast in einer Bar in Pattaya Roger zuwinkte und sich schließlich als Fred entpuppte, war er zuerst so überrascht, dass er nicht einmal reagierte, als Fred ihm einen Stuhl an den Tisch zog.
    Fred bestellte Drinks für sie und erzählte ihm, dass er nicht mehr auf der Nordsee arbeitete. Berufsunfähigkeitsversicherung. Roger setzte sich zögernd hin und erklärte ihm, ohne ins Detail zu gehen, dass er in den letzten sechs Jahren als Kurier für Chang Rai gearbeitet habe. Erst nach zwei Drinks räusperte sich Fred und fragte, was eigentlich an diesem Abend geschehen war, an dem Roger D'Ajuda so plötzlich verlassen hatte.
    Roger blickte in sein Glas, holte tief Luft und sagte, er habe keine andere Wahl gehabt. Der Deutsche, der übrigens gar kein Deutscher gewesen sei, habe ihn überlistet und beinahe an Ort und Stelle exekutiert. Im letzten Moment sei es ihm jedoch gelungen, einen Deal mit ihm zu machen. Dreißig Minuten Vorsprung für ihn, um aus D'Ajuda zu verschwinden, für die Adresse von Lev Grette.
    »Was für eine Waffe, sagtest du, hatte der Kerl?«, fragte Fred.
    »Es war zu dunkel, um das zu erkennen. Jedenfalls keine bekannte Marke. Aber eines sage ich dir, mit diesem Ding hätte der meinen Schädel bis zu Fredo's geblasen.«
     
    Roger warf erneut einen raschen Blick in Richtung Eingangstür.
    »Ich hab hier übrigens eine Bude gefunden«, sagte Fred. »Hast du eine Wohnung, oder?«
    Roger blickte Fred an, als wäre das eine Frage, an die er noch nie gedacht hatte. Er rieb sich lange über die Bartstoppeln, ehe er antwortete.
    »Eigentlich nicht.«
     

 
     
     

    Kapitel 27 – Edvard Grieg
     
    Levs Haus lag etwas abseits am Ende einer Sackgasse. Es war wie die meisten Häuser der Nachbarschaft ein einfacher Ziegelbau, mit dem einzigen Unterschied, dass dieses Haus tatsächlich Glas in den Fenstern hatte. Eine einsame Straßenlaterne erzeugte einen gelben Lichtkegel, in dem eine beeindruckend vielfältige Insektenfauna um die besten Plätze kämpfte, während Fledermäuse immer wieder gierig aus dem Dunkel ins Licht flatterten.
    »Sieht nicht aus, als ob jemand zu Hause ist«, flüsterte Beate.
    »Vielleicht spart er nur Strom«, sagte Harry.
    Sie blieben vor einem niedrigen, rostigen Eisentörchen stehen.
    »Also, wie gehen wir jetzt vor?«, fragte Beate. »Hingehen und anklopfen?«
    »Nein, du schaltest das Handy ein und wartest hier. Wenn du siehst, dass ich da unter dem Fenster bin, rufst du diese Nummer an.« Er gab ihr die Seite, die er aus dem Notizbuch gerissen hatte.
    »Warum das denn?«
    »Wenn wir drinnen ein Handy klingeln hören, können wir wohl davon ausgehen, dass Lev zu Hause

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