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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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ist.«
    »Gut. Und wie willst du ihn schnappen? Etwa damit?« Sie deutete auf das klumpige, schwarze Etwas, das Harry in der rechten Hand hielt.
    »Warum nicht? Bei Roger Person hat's gewirkt.«
    »Er stand in einem halbdunklen Raum und hat es bloß in einem Jahrmarktsspiegel gesehen, Harry.«
    »O.K. Aber wenn man keine Waffen mit nach Brasilien nehmen darf, muss man sich halt mit dem behelfen, was man hat.«
    »Zum Beispiel einer Angelschnur an der Leine des Kloabzugs und einem Spielzeug?«
    »Aber nicht irgendein Spielzeug, Beate. Ein Namco G-Con 45.« Er tätschelte die überdimensionale Plastikpistole.
    »Mach doch wenigstens das Playstation-Logo ab«, sagte Beate und schüttelte den Kopf.
    Harry zog sich die Schuhe aus und lief gebückt über die trockene rissige Erdfläche, aus der irgendwann einmal eine Wiese hätte werden sollen. Am Haus angekommen, hockte er sich unter dem Fenster mit dem Rücken an die Wand und gab Beate mit der Hand ein Zeichen. Er sah sie nicht, wusste aber, dass sie ihn vor der weißen Wand erkannte. Dann blickte er an den Himmel, eine Ausstellung des Universums. Sekunden später waren leise, aber entschiedene Töne eines Handys aus dem Innern des Hauses zu hören. In der Halle des Bergkönigs. Peer Gynt. Der Mann hatte, mit anderen Worten, Sinn für Humor.
    Harry heftete seinen Blick auf einen der Sterne und versuchte seinen Kopf zu leeren und nur noch an das zu denken, was ihm jetzt bevorstand. Es gelang ihm nicht. Aune hatte einmal gefragt, warum wir uns wirklich fragen, ob es dort oben Leben gibt, wenn wir doch wissen, dass es allein in unserer Galaxie mehr Sonnen gibt als Sandkörner an einem durchschnittlichen Strand? Lieber sollten wir uns fragen, wie groß die Chancen stehen, dass sie uns alle friedlich gesonnen sind. Um sich dann Gedanken zu machen, ob das Risiko einer Kontaktaufnahme wirklich kalkulierbar ist. Harry umklammerte den Griff der Spielzeugpistole. Die gleiche Frage stellte er sich jetzt.
    Das Telefon hatte aufgehört, Grieg zu spielen. Harry wartete. Dann holte er tief Luft, stand auf und schlich sich an die Tür. Er lauschte, hörte aber nur die Grillen. Er legte die Hand auf die Klinke und erwartete, dass die Tür verschlossen war.
    Sie war es.
    Er fluchte leise. Er hatte sich vorher bereits entschlossen, im Falle einer verschlossenen Tür und dem dadurch bedingten Wegfall des Überraschungsmomentes bis zum nächsten Tag zu warten und sicherheitshalber auch noch etwas Hardware zu kaufen, ehe sie wieder zurückkamen. Vermutlich war es ziemlich unproblematisch, sich in einem Ort wie diesem zwei hässliche Handfeuerwaffen zu beschaffen. Auf der anderen Seite war er sich aber auch ziemlich sicher, dass Lev bald über die Geschehnisse des Tages aufgeklärt werden würde, so dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb.
    Harry machte einen kleinen Hüpfer, als er einen Stich in der rechten Fußsohle spürte. Er zog den Fuß automatisch zurück und blickte zu Boden. In dem spärlichen Licht der Sterne sah er einen schwarzen Streifen auf der weiß gekalkten Mauer. Der Streifen führte von der Tür über die Treppe, auf der sein Fuß gestanden hatte, und weiter über die Stufe nach unten, wo er ihn aus den Augen verlor. Er fischte die Mini-Maglite aus seiner Jackentasche und schaltete sie an. Es waren Ameisen. Große, gelbe, halb durchsichtige Ameisen, die in zwei Kolonnen marschierten – eine über die Treppe nach unten und eine andere durch den Türspalt nach drinnen. Das waren ganz offensichtlich andere Viecher als die heimischen Zuckerameisen. Es war nicht zu erkennen, was sie transportierten, doch so viel wusste Harry über Ameisen – gelb oder nicht –, irgendetwas schleppten sie weg.
    Harry machte die Lampe aus und dachte nach. Dann ging er. Die Treppe hinunter in Richtung Gartentor. Auf halber Strecke blieb er stehen, drehte sich um und begann zu laufen.
    Die einfache, bereits leicht morsche Tür flog auf beiden Seiten aus dem Rahmen, als sie von 95 Kilo Hole mit einer Geschwindigkeit von knapp 30 Stundenkilometern getroffen wurde. Er fiel auf seinen einen Ellbogen, als er und die Reste der Tür auf den Boden stürzten. Schmerzen schossen ihm durch Arm und Nacken. Im Dunkeln liegend wartete er auf das glatte Klicken einer Pistolensicherung. Als es ausblieb, richtete er sich auf und schaltete die Taschenlampe wieder an. Der kleine Lichtkegel fand zurück zu den Ameisen an der Wand. Harry spürte an der Wärme unter seinem Verband, dass er wieder zu bluten begonnen

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