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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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ihren Büros nach Hause hasteten. Harry stieß mit einem von ihnen zusammen, als er die Treppe nach unten rannte, und bekam ein Schimpfwort nachgerufen, das an den Wänden widerhallte. Er blieb vor der Luke zwischen den Toiletten stehen. Die gleiche alte Frau vom letzten Mal saß dort.
    »Ich muss noch einmal mit Simon sprechen.«
    Sie sah ihn mit ruhigen, braunen Augen an.
    »Er ist nicht mehr in Tøyen«, sagte Harry, »alle sind weggezogen.«
    Die Frau zuckte mit den Schultern, als verstehe sie nichts.
    »Sagen Sie, dass es Harry ist.«
    Sie schüttelte den Kopf und gab ihm mit der Hand ein Zeichen zu verschwinden.
    Harry beugte sich zum Glas vor, das sie trennte. »Sagen Sie, es ist der Spiuni gjerman.«
     
    Simon nahm den Enebakkvei anstelle des langen Egeberg-Tunnels.
    »Ich mag keine Tunnel, weißt du«, erklärte er, während sie sich im dichten Nachmittagsverkehr den Berg hinaufquälten.
    »Die beiden Brüder, die nach Norwegen geflohen sind und in einem Wohnwagen gemeinsam aufwuchsen, entzweiten sich also, weil sie sich in das gleiche Mädchen verliebten?«, fragte Harry.
    »Maria kam aus einer gut angesehenen lovarra- Familie. Sie hielten sich in Schweden auf, wo ihr Vater bulibas war. Sie heiratete Stefan und zog mit ihm nach Oslo, als sie erst dreizehn Jahre alt war. Er war damals achtzehn. Stefan war so verliebt, dass er für sie hätte sterben können. Zu der Zeit hielt sich Raskol in Russland versteckt, weißt du. Nicht vor der Polizei, sondern vor ein paar Kosovo-Albanern in Deutschland, die meinten, er haben ihnen ein Geschäft kaputtgemacht.«
    »Geschäft?«
    »Sie fanden einen leeren Lastwagen auf der Autobahn bei Hamburg«, sagte Simon mit einem Grinsen.
    »Aber Raskol kam zurück.«
    »Eines schönen Tages im Mai war er plötzlich wieder in Tøyen. Da sahen er und Maria einander zum ersten Mal.« Simon lachte. »Mein Gott, und wie sie sich sahen. Ich musste zum Himmel schauen, um mich zu vergewissern, dass kein Gewitter im Anmarsch war, so geladen war die Luft.«
    »Sie verliebten sich also ineinander?«
    »Augenblicklich. Während alle dabeistanden und zusahen. Ein paar der Frauen wurde flau.«
    »Aber wenn das so deutlich war, reagierten doch sicher die Verwandten?«
    »Sie hielten das für nicht so gefährlich. Du musst wissen, dass wir uns früher verheiraten als ihr, weißt du. Wir können die Jugend nicht stoppen. Sie verlieben sich. Mit dreizehn, du kannst dir ja denken …«
    »Das kann ich.« Harry rieb sich den Nacken.
    »Aber das hier war doch eine ernste Angelegenheit, weißt du. Sie war mit Stefan verheiratet, liebte aber Raskol vom ersten Blick an. Und obgleich sie und Stefan in ihrem eigenen Wagen wohnten, sah sie Raskol beinahe ständig. Es kam, wie es kommen musste. Als Anna geboren wurde, waren es nur Stefan und Raskol, die nicht verstanden, dass Raskol der Vater war.«
    »Armes Mädchen.«
    »Und armer Raskol. Der einzig Glückliche war Stefan. Er rannte herum und war drei Meter groß, weißt du. Er sagte, Anna sei ebenso schön wie ihr Papa.« Simon lächelte mit traurigen Augen. »Vielleicht hätte es so weitergehen können, wenn sich nicht Stefan und Raskol für einen Banküberfall entschieden hätten.«
    »Und der ging schief?«
    Der Stau näherte sich dem Ryenkrysset.
    »Sie waren zu dritt. Stefan war der Älteste, also ging er als Erster hinein und als Letzter hinaus. Während die zwei anderen mit dem Geld aus der Bank rannten, um den Fluchtwagen zu holen, blieb Stefan mit gezückter Pistole in der Bank, damit niemand den Alarm auslöste. Sie waren Amateure und wussten nicht einmal, dass die Bank einen lautlosen Alarm hatte. Als die beiden kamen, um Stefan zu holen, lag er auf der Kühlerhaube eines Polizeiwagens. Ein Polizist legte ihm Handschellen an. Raskol fuhr den Fluchtwagen. Er war erst siebzehn Jahre und hatte noch nicht einmal einen Führerschein. Er rollte die Scheibe herunter. Mit dreihunderttausend auf dem Rücksitz fuhr er langsam neben dem Streifenwagen, auf dem sich sein Bruder herumwand. Dann bekamen Raskol und der Polizist Augenkontakt. Mein Gott, die Luft knisterte ebenso wie bei der Begegnung von Raskol und Maria, sie starrten sich eine Ewigkeit an. Ich hatte Angst, Raskol könne losschreien. Aber er sagte kein Wort. Er fuhr einfach weiter. Das war das erste Mal, dass sie sich sahen.«
    »Raskol und Jørgen Lønn?«
    Simon nickte. Sie fuhren aus dem Kreisverkehr in den Ryensving. Bei einer Tankstelle bremste Simon und bog ein. Vor einem

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