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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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erinnerte sich, dass er sich nach dem Telefonat mit Anna ins Wohnzimmer gesetzt hatte, doch danach war alles wie ausradiert. In diesem Moment kam sein Mageninhalt. Harry beugte sich über den Rand des Sessels und hörte das Erbrochene aufs Parkett klatschen. Er stöhnte, schloss die Augen und versuchte das Geräusch des unablässig schellenden Telefons auszublenden. Als sich der Anrufbeantworter einschaltete, war er wieder eingeschlafen.
     
    Es war, als hätte jemand in seiner Zeit herumgeschnipselt und ließe diese Schnipsel jetzt fallen. Harry wachte wieder auf, wartete aber einen Augenblick damit, die Augen zu öffnen, um sicher zu sein, dass es ihm etwas besser ging. Er spürte aber nichts. Der einzige Unterschied war, dass sich die Hammerschläge inzwischen über ein größeres Areal ausgebreitet hatten, dass es nach Kotze stank und dass er sich sicher war, nicht wieder einschlafen zu können. Er zählte bis drei, stand auf, taumelte gebeugt die acht Schritte zum Klo und gab dem Würgen seines Magens erneut nach. Er blieb stehen und hielt sich an der Kloschüssel fest, bis er wieder zu Atem kam, und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass die gelbe Materie, die an dem weißen Porzellan herabrann, mikroskopisch kleine rote und grüne Teilchen beinhaltete. Es gelang ihm, eines dieser Teilchen zwischen Zeigefinger und Daumen zu packen, es zum Wasserhahn zu transportieren und abzuspülen. Dann betrachtete er es im Licht, platzierte es vorsichtig zwischen seinen Zähnen und kaute. Er schnitt eine Grimasse, als er den brennend scharfen Saft des Japone-Chilis schmeckte. Dann wusch er sich das Gesicht, richtete sich auf und bemerkte im Spiegel das gewaltige Veilchen. Das Licht im Wohnzimmer brannte in seinen Augen, als er den Anrufbeantworter abhörte.
    »Hei, hier ist Beate Lønn. Ich hoffe, ich störe nicht, aber Ivarsson sagte, ich müsse sofort alle anrufen. Es hat noch einen Überfall gegeben. DnB im Kirkevei zwischen dem Frognerpark und dem Majorstukrysset.«
     

 
     
     

    Kapitel 9 – Nebel
     
    Die Sonne war hinter einer Schicht stahlgrauer Wolken verschwunden, die in niedriger Höhe vom Oslofjord heraufgekrochen waren, und als Ouvertüre des drohenden Regens kam der böige Südwind. Dachrinnen pfiffen und Markisen knatterten über dem Kirkeveien. Die Bäume hatten bereits all ihr Laub verloren und auch die letzten Farben schienen aus der Stadt gesaugt worden zu sein, Oslo in Schwarz-Weiß. Harry kämpfte gebeugt gegen den Wind an und hielt den Mantel mit den Händen in den Taschen zusammen. Er hatte festgestellt, dass sich im Laufe des Abends oder der Nacht nun auch noch der letzte Knopf verabschiedet hatte, doch das war nicht das Einzige, was verschwunden war. Als er Anna anrufen wollte, um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, hatte er bemerkt, dass auch sein Handy verschwunden war. Und als er sie von seinem Festanschluss angerufen hatte, war Harry von einer aus irgendeinem Vorzimmer verflucht bekannten Stimme geantwortet worden, dass diejenige, die er sprechen wolle, derzeit nicht erreichbar sei, er aber gerne eine Nachricht hinterlassen könne. Er ließ es bleiben.
    Er war relativ schnell auf die Beine gekommen, und es war ihm überraschend leicht gelungen, sich gegen den Drang weiterzutrinken und kurz einen Abstecher ins Weinmonopol oder zu Schröder zu machen durchzusetzen. Stattdessen hatte er geduscht, sich angezogen und war losgegangen. Von der Sofies Gate aus vorbei am Bislett-Stadion, über die Pilestredet am Stenspark vorbei nach Majorstua. Er fragte sich, was er getrunken hatte. Statt der üblichen Magenschmerzen, der Handschrift Jim Beams, waren alle seine Sinne irgendwie benebelt. Und nicht einmal die frischen Windböen konnten diesen Nebel lichten.
    Zwei Streifenwagen standen mit blinkendem Blaulicht vor der DnB-Filiale. Harry streckte einem der uniformierten Polizisten seinen Ausweis entgegen, duckte sich unter der Absperrung hindurch und ging zur Eingangstür. Dort stand Weber und unterhielt sich mit einem seiner Männer.
    »Guten Tag, Herr Kommissar«, sagte Weber mit besonderer Betonung auf dem Wort »Tag«. Er zog eine Augenbraue hoch, als er Harrys Veilchen bemerkte. »Fängt die Frau mit dem Prügeln an?«
    Harry fiel keine schlagfertige Antwort ein, er schnippte bloß die Asche von seiner Zigarette und fragte: »Was war hier los?«
    »Ein maskierter Kerl mit einem AG3.«
    »Und der Vogel ist ausgeflogen?«
    »Weit weg.«
    »Hat jemand mit Zeugen gesprochen?«
    »Ja, klar,

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