Die Fährte
faszinierend.«
»Und damit bin ich am Punkt …«
»Ich glaube, ich verstehe«, sagte Harry. »Der Bankräuber kann sich programmiert haben zu schießen, wenn der Filialleiter die Frist nicht einhält.«
»Die Regeln einer Programmierung müssen einfach sein«, sagte Aune, ließ das Zigarillo in die Teetasse fallen und stellte die Untertasse darauf. »Um dich in Trance zu versetzen, brauchst du ein kleines, aber logisch geschlossenes System, das keine anderen Gedanken zulässt.«
Harry legte einen Fünfzigkronenschein neben die Kaffeetasse und erhob sich. Aune sah still zu, bis Harry alle Bilder eingesammelt hatte. Dann fragte er: »Du glaubst nicht im Geringsten an das, was ich gesagt habe, oder?«
»Nein.«
Auch Aune stand auf und knöpfte sich die Jacke über seinem Bauch zu. »Also, an was glaubst du?«
»Ich glaube an das, was ich mit der Zeit gelernt habe«, sagte Harry. »Dass Banditen im Großen und Ganzen auch nicht klüger sind als ich, dass sie einfache Lösungen suchen und unkomplizierte Motive haben. Kurz gesagt, dass die Dinge in der Regel so sind, wie sie scheinen. Ich glaube, dass dieser Bankräuber entweder vollkommen zugedröhnt war oder Panik bekommen hat. Was er getan hat, war so dumm, dass ich daraus schließen muss, dass auch er dumm ist. Zum Beispiel dieser Zigeuner, den du für so klug hältst, wie lange muss er zusätzlich brummen, für diese Messerattacke?«
»Keinen Tag«, sagte Aune mit sardonischem Lächeln.
»Oh?«
»Sie haben nie ein Messer gefunden.«
»Hast du nicht gesagt, dass ihr in seiner Zelle wart?«
»Kennst du das, wenn du auf dem Bauch am Strand liegst und deine Freunde dir sagen, dass du bloß ruhig liegen bleiben sollst, weil sie gerade brennende Kohlen über deinen Rücken halten? Und dann hörst du ›oh, Scheiße‹ und spürst im nächsten Augenblick, wie sich diese Kohlenstückchen in deine Haut brennen?«
Harrys Hirn sortierte Sommerferienerinnerungen. Er war schnell damit fertig. »Nein.«
»Und dann stellte sich heraus, dass das alles bloß Spaß war und es keine Kohlen waren, sondern bloß Eiswürfel …?«
»Ach ja?«
Aune seufzte. »Manchmal frage ich mich, wo du die fünfunddreißig Jahre zugebracht hast, die du nach eigenen Angaben auf der Welt bist, Harry.«
Harry fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er war müde. »O.K., aber was willst du damit sagen, Aune?«
»Dass dich ein guter Manipulator glauben lassen kann, dass der Rand eines Hunderters die Klinge eines Messers ist.«
Die blonde Frau sah Harry direkt in die Augen und versprach ihm Sonne und nachmittags aufkommende Bewölkung. Harry drückte die Aus-Taste und das Bild schrumpfte zu einem kleinen, leuchtenden Punkt im Zentrum des Vierzehn-Zoll-Bildschirms zusammen. Doch als er die Augen schloss, hing wieder das Bild von Stine Grette wie das Echo der Nachrichtensprecherin auf seiner Netzhaut. »… noch immer keine Verdächtigen in diesem Fall.«
Er öffnete die Augen wieder und studierte das Spiegelbild auf dem toten Bildschirm. Er selbst, der alte, grüne Ohrensessel von Elevator und der nackte Couchtisch, einzig dekoriert mit Ringen von Flaschen und Gläsern. Alles war wie immer. Der Reise-Fernseher stand schon seit seinem Einzug im Regal zwischen dem Lonely-Planet-Buch über Thailand und dem NAF-Straßenatlas, und in diesen sieben Jahren war er selbst nicht einen Meter weit verreist. Er hatte von siebenjährigen Rhythmen gelesen, dass sich Menschen häufig nach sieben Jahren eine neue Bleibe suchen, einen neuen Job oder einen neuen Partner. Er hatte nichts davon bemerkt. Und seinen Job hatte er bereits seit zehn Jahren. Harry sah auf die Uhr. Gegen acht, hatte Anna gesagt.
Was Partner anging, war er nie weit genug gekommen, um diese Theorie zu überprüfen. Abgesehen von den beiden Beziehungen, die vielleicht so weit hätten kommen können, waren alle Romanzen dem Phänomen zum Opfer gefallen, das Harry Sechswochenklaue nannte. Ob sein Widerwillen gegen jedes gefühlsmäßige Engagement daraus resultierte, dass die beiden Male, als er eine Frau wirklich geliebt hatte, mit Tragödien belohnt worden waren, wusste er nicht. Oder ob es seine beiden treuen Gefährten waren – die Polizeiarbeit und der Alkohol –, die die Schuld traf. Ehe er Rakel vor einem Jahr getroffen hatte, hatte er jedenfalls zu glauben begonnen, dass er nicht für bleibende Beziehungen geschaffen war. Er dachte an ihr großes, kühles Schlafzimmer in Holmenkollen. Ihre beinahe kodierten Brummlaute
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