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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Dann frage ich: ›Wollen Sie keinen Zug machen?‹ Ich sehe seine Hand mit meinem Stift ins Buch kritzeln, während er antwortet: ›Das brauche ich nicht. Ich schreibe gerade auf, wie dieses Spiel ablaufen wird, Zug für Zug. Es endet damit, dass Sie Ihren König stürzen.‹ Ich antworte ihm, dass er den Gang des Spieles unmöglich nach einem Zug vorhersagen könne. ›Sollen wir wetten?‹, fragt er. Ich versuche, es mit einem Lachen abzutun, doch er besteht darauf. Also gehe ich die Wette um einen Hunderter ein, um sein Wohlwollen für das Interview zu gewinnen. Er will den Schein sehen, ich muss ihn neben das Schachbrett legen, wo er ihn sehen kann. Er hebt seine Hand, als wolle er seinen Zug machen, als die Dinge plötzlich sehr rasch geschehen.«
    »Blitzschach?«
    Aune lächelte, während er nachdenklich einen blauen Rauchring an die Decke blies. »Im nächsten Augenblick hing ich in einem eisernen Griff fest, den Kopf nach hinten gedrückt, so dass ich an die Decke starrte. Eine Stimme flüsterte in mein Ohr: ›Spürst du die Klinge des Messers, gadzo?‹ Und ich spürte ihn, den scharfen, rasiermesserdünnen Stahl, der sich gegen die Haut meines Kehlkopfs drückte. Hast du das jemals gespürt, Harry?«
    Harrys Hirn durchwühlte in rasender Eile alle ähnlichen Situationen, doch er fand kein wirklich passendes Erlebnis. Er schüttelte den Kopf.
    »Es fühlte sich – um einige meiner Patienten zu zitieren - vollkommen schräg an. Ich hatte dermaßen Angst, dass ich mir fast in die Hosen gemacht hätte. Dann flüsterte er mir ins Ohr: ›Leg deinen König hin, Aune.‹ Er lockerte seine Umklammerung ein wenig, so dass ich meinen Arm bewegen und die Figuren umstoßen konnte. Dann ließ er mich ebenso plötzlich wieder los. Er ging zu seiner Seite des Tisches hinüber und wartete, bis ich wieder auf den Beinen war und richtig Luft bekam. ›Was, zum Teufel, war das‹, stöhnte ich. ›Das war ein Banküberfall‹, antwortete er. ›Erst geplant und dann durchgeführt‹. Dann drehte er das Buch um, in dem er den Verlauf des Spieles notiert hatte. Was dort stand, war mein einziger Zug und ›weißer König kapituliert‹. Dann fragte er: ›Beantwortet das Ihre Fragen, Aune?‹«
    »Und was hast du gesagt?«
    »Nichts. Ich habe nach der Wache draußen gebrüllt. Doch bevor sie öffnen konnte, habe ich Raskol noch eine letzte Frage gestellt. Denn ich wusste, dass ich mich totgrübeln würde, wenn ich nicht sofort eine Antwort bekam. Ich fragte: ›Hätten Sie das getan? Hätten Sie mir die Kehle durchgeschnitten, wenn mein König nicht kapituliert hätte? Bloß um eine idiotische Wette zu gewinnen?‹«
    »Und was hat er geantwortet?«
    »Er hat gelächelt und gefragt, ob ich wisse, was Programmierung sei.«
    »Und?«
    »Das war alles. Die Tür ging auf und ich ging nach draußen.«
    »Aber was meinte er mit Programmierung?«
    Aune schob die Teetasse beiseite. »Man kann sein eigenes Hirn vorprogrammieren, einem bestimmten Verhaltensmuster zu folgen. Das Gehirn wird dann alle anderen Impulse überlagern und den vorbestimmten Regeln folgen, egal was passiert. Nützlich in Situationen, in denen der natürliche Impuls des Gehirns die blanke Panik ist. Zum Beispiel, wenn sich ein Fallschirm nicht öffnet. Dann hat der Fallschirmspringer hoffentlich die Notprozedur vorprogrammiert.«
    »Oder Soldaten im Kampf.«
    »Genau. Es gibt mittlerweile Methoden, mit denen Menschen derart gründlich programmiert werden können, dass sie in eine Art Trance fallen, die nicht einmal von extremem, äußerlichem Druck durchbrochen werden kann, und in der sie zu lebenden Robotern werden. Die Tatsache ist, dass ein solcher Zustand, von dem wohl mancher feuchte Traum eines Generals handelt, erschreckend leicht zu erreichen ist, wenn man die notwendigen Techniken beherrscht.«
    »Sprichst du von Hypnose?«
    »Ich würde das lieber Programmierung nennen, das hört sich nicht so geheimnisvoll an. Es geht nur darum, die Wege für Impulse zu öffnen oder zu verschließen. Wer die Fähigkeit hat, dem fällt es leicht, sich selbst zu programmieren, die so genannte Selbsthypnose. Wenn sich Raskol vorher programmiert hatte, mich zu töten, wenn ich meinen König nicht hinlege, hatte er sich selbst jeder anderen möglichen Handlungsweise beraubt.«
    »Aber er hat dich doch nicht getötet.«
    »Alle Programme haben eine Escape-Taste, ein Passwort, das die Trance bricht. In diesem Fall kann das ein stürzender weißer König sein.«
    »Hm,

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