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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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schwierig, Selbstmord in der Situation als rational anzusehen, in der ein Depressiver aus dem Tal der Tränen herauskommt und erst jetzt wieder genug Kraft hat, um die aktive Handlung zu vollenden, die ein Selbstmord erfordert.«
    »Kann ein Selbstmord vollkommen spontan geschehen?«
    »Natürlich ist das möglich. Doch in der Regel beginnt es mit Selbstmordversuchen, speziell bei Frauen. In den USA rechnet man bei Frauen mit zehn so genannten Selbstmordversuchen auf einen Selbstmord.«
    »So genannten?«
    »Fünf Schlaftabletten zu nehmen, ist schon ein ernst zu nehmender Hilferuf, aber ich würde es keinen Selbstmordversuch nennen, wenn der Rest des Pillenglases unangetastet auf dem Nachttischchen steht.«
    »Diese hat sich erschossen.«
    »Ein männlicher Selbstmord also.«
    »Männlich?«
    »Einer der Gründe, weshalb bei Männern Selbstmorde oft erfolgreicher sind, ist die Tatsache, dass sie oft aggressivere, fatalere Methoden wählen als Frauen. Schusswaffen und hohe Gebäude statt sich die Pulsadern aufzuschneiden oder Schlaftabletten zu nehmen. Dass sich eine Frau erschießt, ist sehr ungewöhnlich.«
    »Verdächtig ungewöhnlich?«
    Aune sah Harry an. »Hast du einen Grund, daran zu zweifeln, dass es Selbstmord war?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Ich will nur ganz sichergehen. Hier müssen wir nach rechts, ihre Wohnung ist gleich hier in der Straße.«
    »In der Sorgenfrigate?« Aune brummte amüsiert und sah zu den drohenden Wolken am Himmel. »Natürlich.«
    »Sans Souci. Ohne Sorgen. Das war der Name des Palastes von Christophe, dem König von Haiti, der Selbstmord beging, als er von den Franzosen gefangen genommen wurde. Der, der die Kanonen zum Himmel gerichtet hatte, um sich an Gott zu rächen, du weißt doch.«
    »Tja, äh …«
    »Und weißt du, was der Schriftsteller Ola Bauer über diese Straße sagt? ›Ich zog in die Sorgenfrigate, aber auch das half nicht.‹« Aune lachte so herzhaft, dass sein Doppelkinn ins Wackeln geriet.
    Halvorsen wartete vor der Tür des Mietshauses. »Auf dem Weg aus dem Polizeipräsidium ist mir Bjarne Møller begegnet«, sagte er. »Er gab mir zu verstehen, dass die Sache bereits zu den Akten gelegt sei.«
    »Wir müssen nur noch ein paar letzte offene Fragen klären«, sagte Harry und schloss mit dem Schlüssel auf, den er von dem Elektriker bekommen hatte.
    Die Absperrungen vor der Wohnungstür waren entfernt und die Leiche war abtransportiert worden, doch ansonsten war alles wie am Abend zuvor. Sie gingen ins Schlafzimmer. Die weißen Laken auf dem großen Bett leuchteten im Halbdunkel. »Also, was suchen wir?«, fragte Halvorsen, während Harry die Gardinen zur Seite zog.
    »Einen Nachschlüssel zur Wohnung«, sagte Harry.
    »Warum?«
    »Wir sind davon ausgegangen, dass sie einen Nachschlüssel hatte, nämlich den, den sie dem Elektriker gegeben hat. Ich habe ein wenig nachgeforscht. Systemschlüssel kann man nicht so einfach bei einem x-beliebigen Schlüsseldienst nachmachen lassen, die müssen über einen autorisierten Schlüsseldienst beim Hersteller bestellt werden. Da der Schlüssel auch zu den Gemeinschaftsräumen, der Haustür und der Kellertür passt, will die Hausverwaltung Kontrolle über alle Schlüssel haben. Die Bewohner brauchen deshalb eine schriftliche Einwilligung der Hausverwaltung, wenn sie neue Schlüssel wollen, nicht wahr? Und nach Absprache mit der Verwaltung hat der autorisierte Schlüsseldienst eine Übersicht über alle ausgegebenen Schlüssel für alle Wohnungen. Ich habe gestern Abend den Schlüsseldienst in der Vibes Gate angerufen. Anna Bethsen hat zwei Nachschlüssel bekommen, sie hat also insgesamt drei Schlüssel. Einen haben wir in der Wohnung gefunden und einen hatte der Elektriker. Aber wo ist der dritte Schlüssel? Bis wir den nicht gefunden haben, können wir uns auch nicht sicher sein, dass nicht noch jemand hier war, als sie starb, und dann einfach gegangen ist.«
    Halvorsen nickte langsam. »Den dritten Schlüssel also.«
    »Den dritten Schlüssel. Fängst du hier drinnen an, Halvorsen? Dann zeige ich Aune in der Zwischenzeit etwas anderes.«
    »O.K.«
    »Ja, und noch etwas. Wundere dich nicht, wenn du mein Handy findest. Ich glaube, ich habe das gestern Nachmittag hier liegen gelassen.«
    »Hast du nicht gesagt, dass du das schon vorgestern verloren hast?«
    »Ich hab es wieder gefunden. Und wieder liegen lassen. Du weißt …«
    Halvorsen schüttelte den Kopf. Harry führte Aune durch den Flur zu den Zimmern. »Ich habe

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