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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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kürzlich verstorbene Angehörige.«
    »Ach ja?«, sagte Harry und hoffte, dass sein Gesicht ihn nicht verriet.
    »Sie soll in zwei Tagen beerdigt werden, und Raskol hat eine eindringliche Bitte an den Gefängnisdirektor gerichtet, an der Beerdigung teilnehmen zu dürfen.«
    Als Beate ging, blieb Harry sitzen. Die Mittagspause war vorüber und die Kantine leerte sich. Sie war, wie man so sagt, hell und gemütlich und wurde von einem staatlichen Catering-Unternehmen geleitet, weshalb Harry lieber woanders aß. Doch gerade in diesem Moment war ihm eingefallen, dass er an der Weihnachtsfeier genau hier mit Rakel getanzt hatte, dass er sich genau an diesem Fleck entschlossen hatte, sie mit Beschlag zu belegen. Oder umgekehrt. Noch immer spürte er den Schwung ihres Rückens unter seiner Handfläche.
    Rakel.
    In zwei Tagen sollte Anna beerdigt werden, und niemand zweifelte daran, dass sie durch ihre eigene Hand zu Tode gekommen war. Der Einzige, der dort gewesen war und ihnen hätte widersprechen können, war er selbst, doch er konnte sich an nichts erinnern. Weshalb konnte er es dann nicht einfach auf sich beruhen lassen? Er hatte alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Und eins kam noch hinzu: Warum konnte er die Sache nicht einfach vergessen, um Rakel und seiner selbst willen?
    Harry stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und verbarg das Gesicht in seinen Händen.
    Und wenn er ihnen hätte widersprechen können? Hätte er es getan?
    Die Menschen am Nachbartisch drehten sich um, als der Stuhl harsch zurückgeschoben wurde, sich der kahl geschorene, langbeinige Polizist mit dem schlechten Ruf erhob und rasch die Kantine verließ.
     

 
     
     
    Kapitel 14 – Lotterie
     
    Die Glocke über der Tür des kleinen, engen Kiosks läutete wütend, als die zwei Männer hereingestürzt kamen. Eimers Frucht & Tabak war einer der letzten Kioske seiner Art, eine Wand war mit Zeitschriften zu den Themen Motor, Jagd, Sport und Softporno belegt und die anderen mit Zigaretten und Zigarren, während auf dem Tresen zwischen schwitzenden Lakritzstangen und vertrockneten, grauen Marzipanschweinchen mit dem Weihnachtsschmuck des vergangenen Jahres drei Stapel Lotto- und Totoscheine thronten.
    »Das habt ihr ja gerade noch geschafft«, sagte Eimer, ein dünner, kahlköpfiger Mann um die sechzig mit Bart und nordländischem Dialekt.
    »Verflucht, das kam aber auch plötzlich«, sagte Halvorsen und wischte sich die Regentropfen von den Schultern.
    »Typischer Oslo-Herbst«, sagte der Mann, »Wolkenbruch oder Trockenheit. Ein Päckchen Camel?«
    Harry nickte und holte sein Portemonnaie heraus.
    »Und zwei Lotterielose für den jungen Beamten?« Eimer streckte Halvorsen zwei Lose entgegen, der sie betreten lächelnd schnell in die Tasche steckte.
    »Ist das O.K., wenn ich hier drin eine Zigarette rauche, Eimer?«, fragte Harry und schielte in den Regen hinaus, der auf den plötzlich menschenleeren Bürgersteig hinter dem schmutzigen Fenster klatschte.
    »Also wirklich«, sagte Eimer und gab ihnen das Wechselgeld. »Gift und Gambling sind mein täglich Brot.«
    Er verbeugte sich leicht und verschwand hinter einem schief hängenden, braunen Vorhang, hinter dem sie eine Kaffeemaschine gurgeln hörten.
    »Hier ist das Bild«, sagte Harry. »Du musst bloß herausfinden, wer die Frau ist.«
    »Bloß?« Halvorsen blickte auf das grobkörnige, zerknitterte Foto, das ihm Harry reichte.
    »Versuch zuerst herauszufinden, woher diese Aufnahme stammt«, sagte Harry und hustete plötzlich heftig, als er versuchte, den Rauch in den Lungen zu behalten. »Sieht wie irgendein Ferienort aus. Wenn das stimmt, gibt es da sicher einen kleinen Laden, jemanden, der Hütten vermietet oder so etwas. Wenn die Familie auf dem Bild regelmäßig kommt, weiß einer von denen, die dort arbeiten, wer das ist. Überlass mir den Rest, wenn du das herausgefunden hast.«
    »Und das alles, weil das Bild im Schuh lag?«
    »Nicht gerade ein gewöhnlicher Ort, um ein Bild aufzubewahren, oder?«
    Halvorsen zuckte mit den Schultern und sah hinaus auf die Straße.
    »Das hört so schnell nicht auf«, sagte Harry.
    »Ich weiß, aber ich muss nach Hause.«
    »Wozu?«, fragte Harry.
    »Zu ein paar Sachen, die man Leben nennt. Nichts, was dich interessieren würde.«
    Harry zog die Mundwinkel hoch, um zu zeigen, dass er die Ironie verstanden hatte. »Na dann, viel Spaß.«
    Die Glocke klingelte und die Tür fiel hinter Halvorsen ins Schloss. Harry zog an der Zigarette, und während

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