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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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löste sich kurz hinter der Abfahrt Ulvøya auf. Der Regen hatte aufgehört und bereits bei Ljan war der Asphalt trocken. Kurz darauf wurde die Straße vierspurig, und wie auf einer Rampe beschleunigten die Autos und rasten weiter. Harry sah zu Halvorsen hinüber und fragte sich, wann auch er diese herzzerreißenden Schreie hören würde. Doch Halvorsen hörte nichts, da er Travis' Aufforderung im Radio scheinbar wörtlich genommen hatte.
    »Sing, sing, siiing!«
    »Halvorsen …«
    »For the love you bring …«
    Harry drehte das Radio leiser und Halvorsen blickte ihn verständnislos an.
    »Die Scheibenwischer«, sagte Harry. »Du kannst sie ausmachen.«
    »Ach ja, sorry.«
    Schweigend fuhren sie weiter. Vorbei an der Ausfahrt Drøbak.
    »Was hast du diesem Ladenbesitzer gesagt?«, fragte Harry.
    »Das willst du doch gar nicht wissen.«
    »Aber er hat am Donnerstag vor fünf Wochen Lebensmittel in Albus Hütte geliefert?«
    »Das hat er gesagt, ja.«
    »Bevor Albu gekommen ist?«
    »Er hat nur gesagt, dass er sich immer selbst die Tür aufschließt.«
    »Dann hat er einen Schlüssel?«
    »Harry, unter diesem superdünnen Vorwand konnte ich wohl schlecht weiter fragen.«
    »Was für ein Vorwand?«
    Halvorsen seufzte. »Landvermesser.«
    »Landver…«
    »… messen«
    »Was ist das?«
    »Keine Ahnung.«
    Larkollen lag an einer Abfahrt, dreizehn langsame Kilometer und vierzehn träge Kurven hinter der Autobahn.
    »An dem roten Haus hinter der Tankstelle nach rechts«, memorierte Halvorsen und bog in einen Kiesweg ein.
    »Sehr viele Duschmatten«, murmelte Harry fünf Minuten später, als Halvorsen den Wagen gestoppt hatte und auf ein gigantisches Blockhaus zwischen den Bäumen deutete. Es sah aus wie eine verwachsene Almhütte, die aufgrund irgendeines Missverständnisses am Meer gelandet war.
    »Wirkt ziemlich menschenleer hier«, sagte Halvorsen und ließ seinen Blick über die Nachbarhütten schweifen. »Nur Möwen. Verflucht viele Möwen. Vielleicht gibt es irgendwo in der Nähe eine Müllkippe.«
    »Hm.« Harry sah auf die Uhr. »Lass uns trotzdem etwas weiter oben parken.«
    Der Weg endete an einem Wendeplatz. Halvorsen machte den Motor aus. Harry öffnete die Tür und stieg aus. Er streckte seinen Rücken und lauschte dem Geschrei der Möwen und dem fernen Klatschen der Wellen an den Ufersteinen.
    »Ah«, sagte Halvorsen und füllte die Lungen. »Das ist schon was anderes als diese Osloluft, was?«
    »Das kannst du laut sagen«, sagte Harry und fischte sein Zigarettenpäckchen aus der Tasche. »Nimmst du den Koffer?«
    Auf dem Weg zur Hütte bemerkte Harry eine große, gelblich weiße Möwe auf einem Zaunpfosten. Sie drehte langsam ihren Kopf, als sie vorbeigingen. Harry meinte, den Blick des Vogels den ganzen Weg über im Rücken zu spüren.
    »Das wird nicht leicht«, bemerkte Halvorsen, als sie das solide Schloss der Außentür näher unter die Lupe nahmen. Er hatte seine Mütze an die schmiedeeiserne Lampe über der schweren Eichentür gehängt.
    »Hm. Fang schon mal an.« Harry zündete sich die Zigarette an. »Ich schau mich inzwischen ein bisschen um.«
    »Wie kommt es«, fragte Halvorsen und öffnete den metallbeschlagenen Koffer, »dass du plötzlich viel mehr rauchst als früher?«
    Harry blieb einen Augenblick stehen. Er sah zum Wald. »Um dir eine Chance zu geben, mich irgendwann einmal auf dem Trim-Bike zu schlagen.«
    Kohlrabenschwarze Rundhölzer, solide Fenster. Die gesamte Hütte machte einen soliden, uneinnehmbaren Eindruck. Harry fragte sich, ob es möglich war, durch den beeindruckenden gemauerten Schornstein einzusteigen, verwarf den Gedanken dann aber wieder. Er ging den Pfad hinunter. Der Regen der letzten Tage hatte ihn braun und matschig werden lassen, aber dennoch konnte er sich gut vorstellen, wie hier kleine, nackte Kinderfüße im Sommer über den sonnengewärmten Pfad zum Strand hinter den runden Felsen hüpften. Er blieb stehen und schloss die Augen, bis die Geräusche kamen. Das Surren der Insekten, das Rauschen des hohen Grases im Wind, ein entferntes Radio, in dem ein Song lief, der mit dem Wind hin- und hergetragen wurde, und das freudige Kindergeschrei vom Strand. Er war zehn Jahre alt und schlich zum Laden, um Brot und Milch zu kaufen. Der Kies drückte sich in seine Fußsohlen. Aber er biss die Zähne zusammen, denn er hatte sich vorgenommen, in diesem Sommer seine Fußsohlen abzuhärten, damit er gemeinsam mit Øystein barfuß laufen konnte, wenn er nach Hause kam. Auf dem

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