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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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seither als einzige Richtschnur hielt, wenn er einen Raum durchsuchte. »Frag dich nicht, was du suchst. Frag dich, was du findest. Warum es da ist. Sollte so etwas an dem Ort sein? Was bedeutet es? Es ist wie Lesen – wenn du an ein ›1‹ denkst, während du auf ein ›k‹ blickst, bekommst du die Worte nicht mit.«
    Das Erste, was Harry auffiel, als er in das vordere Schlafzimmer kam, war das große Doppelbett und das Bild von Herrn und Frau Albu auf dem Nachttischchen. Die Fotografie war nicht groß, fiel aber ins Auge, da sie das einzige Bild war und überdies zur Tür zeigte.
    Harry öffnete die Tür eines Schrankes. Der Geruch fremder Kleider schlug ihm entgegen. Es waren aber keine Freizeitkleider, sondern Abendkleider, Hemden und ein paar Anzüge, sowie ein Paar Golfschuhe mit Spikes.
    Harry durchsuchte systematisch alle drei Schränke. Er arbeitete schon zu lange als Ermittler, als dass es ihn verlegen gemacht hätte, das Eigentum fremder Menschen anzufassen.
    Er setzte sich auf das Bett und betrachtete das Bild auf dem Nachtschränkchen. Im Hintergrund waren Himmel und Meer, doch die Art, wie das Licht auf das Paar fiel, ließ Harry an südlichere Gefilde denken. Arne Albu war braun gebrannt, und sein Blick hatte den gleichen jugendlichen Schalk, den er im Restaurant in Aker Brygge erlebt hatte. Er hatte den Arm fest um die Hüfte seiner Frau gelegt. So fest, dass sich der Oberkörper von Vigdis Albu fast von dem seinen fortzubeugen schien.
    Harry schlug die Tagesdecke und die Bettdecke zur Seite. Wenn Anna in diesem Bettzeug gelegen hatte, würden sie ohne Zweifel Haare, Hautreste, Speichel oder Scheidensekret finden. Vermutlich von allem etwas. Doch es war, wie befürchtet. Er fuhr mit der Hand über die steifen Laken, drückte das Gesicht in das Kissen und atmete ein. Frisch gewaschen. Scheiße.
    Er öffnete die Schublade des Nachtschränkchens. Ein Päckchen Wrigleys-Extra-Kaugummis, eine ungeöffnete Schachtel Gelonida, ein Schlüsselring mit einem Schlüssel samt einer Messingplatte mit den Initialen A.A., das Bild eines nackten, wie eine Larve zusammengerollten Babys und ein Schweizer Armeemesser.
    Er wollte gerade das Messer herausnehmen, als er einen einzelnen, kalten Möwenschrei hörte. Unwillkürlich schaudernd blickte er aus dem Fenster. Die Möwe war verschwunden. Als er weitersuchen wollte, hörte er das scharfe Bellen eines Hundes.
    Im gleichen Moment stand Halvorsen in der Tür. »Da kommen Leute.«
    Das Herz schien wie ein Turbo zu schlagen.
    »Ich nehme die Schuhe«, sagte Harry. »Nimm du den Koffer und das Material mit hier hinein.«
    »Aber …«
    »Wir springen aus dem Fenster, wenn sie drinnen sind. Schnell!«
    Das Bellen draußen wurde lauter und hitziger. Harry hastete zum Eingang, während Halvorsen vor der Regalwand niederkniete und Pulver, Bürste und Kontaktpapier in den Koffer warf. Das Gekläff war bereits so nah, dass er das tiefe Knurren zwischen dem Bellen hören konnte. Schritte auf der Treppe. Die Tür war unverschlossen, und es war zu spät, noch etwas zu tun, er würde auf frischer Tat ertappt werden! Harry holte tief Luft und blieb stehen. Dann konnte er der Konfrontation auch gleich hier ins Auge blicken, vielleicht gelang es dann wenigstens Halvorsen, zu entkommen. Dann bliebe Harrys Gewissen wenigstens dessen Kündigung erspart.
    »Gregor!«, rief eine Männerstimme von der anderen Seite der Tür. »Komm zurück!«
    Das Hundegebell entfernte sich und er hörte den Mann die Treppe wieder nach unten steigen.
    »Gregor! Lass die Rehe in Frieden!«
    Harry trat zwei Schritte vor und drehte den Schlüssel herum. Dann nahm er die zwei Paar Schuhe und schlich sich ins Zimmer, während er den Schlüssel in der Tür hörte. Als er die Tür des Schlafzimmers hinter sich schloss, hörte er, wie sich die Eingangstür öffnete.
    Halvorsen hockte auf dem Boden unter dem Fenster und sah Harry mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Was ist los?«, flüsterte Harry.
    »Ich wollte gerade aus dem Fenster klettern, als dieser verrückte Hund kam«, flüsterte Halvorsen. »Das ist ein Riesen-Rottweiler.«
    Harry blickte aus dem Fenster in einen geifernden Rachen, der sich mit beiden Vorderbeinen an der Hüttenwand hochstemmte.
    Beim Anblick von Harry begann er an der Wand der Hütte emporzuspringen und wie besessen zu bellen. Geifer troff zwischen seinen weißen Eckzähnen hervor. Aus dem Wohnzimmer waren schwere Schritte zu hören. Harry sank neben Halvorsen zu Boden.
    »Höchstens

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