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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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nur ein wenig unwahrscheinlicher zu machen, dann will ich die Gewissensbisse in Kauf nehmen.«
    Amalie strahlte. »Dafür, lieber Georg, haben Sie sich einen Kuss verdient.« Ihre Augen wanderten forschend nach den Seiten, und nachdem feststand, dass niemand in Hörweite war, setzte sie neckisch flüsternd hinzu: »Genaugenommen hätten Sie sich sogar noch einiges mehr verdient.«
    Augenblicklich verfärbte sich Täubrichs Gesicht in ein verlegenes Rot.

15. Dezember
    »Mit allem Respekt, Hoheit. Aber ist ein solches Szenario nicht überaus unwahrscheinlich?«, wagte Oberpräsident Sauerwein vorsichtig Zweifel anzumelden.
    Für diese Kühnheit erntete er erstaunte, aber keine missbilligende Blicke von den anderen neun Männern, die der Kronprinz an dem runden Tisch um sich versammelt hatte. Insgeheim hegte jeder von ihnen die selben Bedenken wie der oberste Verwaltungschef der Provinz. Und nun, da einer von ihnen den Mut gefunden hatte, sich zu äußern, brachten auch die anderen Einwände vor.
    Diese Reaktionen überraschten den Kronprinzen keineswegs. Er wäre vielmehr bestürzt gewesen, hätten die Spitzen von Militär und Verwaltung, die sich auf sein Geheiß im Blauen Salon des Palais Rogalski eingefunden hatten, seine Worte ohne jeglichen Widerspruch aufgenommen.
    Das Gespräch mit Rebekka Heinrich hatte tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Ganz besonders ihre Warnung vor der Gefahr, die von einer siegreichen Konföderation ausging, ließ ihm seitdem keine Ruhe. Und nach der desaströsen Niederlage der Union bei Fredericksburg sah es wirklich so aus, als bestünde für die Südstaaten Aussicht, den Krieg zu ihren Gunsten zu entscheiden. Deshalb hatte er die höchstrangigen Beamten und Offiziere der Provinz versammelt und ihnen dargelegt, dass seiner Ansicht nach die Konföderation beabsichtigen könnte, sich Karolina einzuverleiben. Wie sich herausstellte, teilte keiner unter ihnen diese Befürchtungen.
    »Sollten die Konföderieren Staaten es tatsächlich schaffen, ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen, werden sie sich nach all den Opfern und Entbehrungen gewiss hüten, grundlos einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen«, meinte Oberst Carradine, in dessen aristokratischen, dunklen Gesichtszügen sich das Erbe weißer, schwarzer und indianischer Vorfahren zu einem exotischen Gemenge vereinte.
    »Zudem ihre Soldaten nach einem Sieg über den Norden auf baldige Demobilisierung drängen dürften«, ergänzte General von FliegenderSchwarzer-Adler. »Die konföderierte Regierung wird bestrebt sein, das Heer nach einem Sieg rasch auf Friedensfuß zu setzen und alle Soldaten nach Hause zu entlassen, damit keine Unruhen entstehen.«
    Der Kronprinz nickte und ließ die Offiziere wissen: »Ja, meine Herren, dieser Gedanke kam mir auch. Doch ziehe ich daraus andere Schlüsse als Sie. Es ist richtig, nach einem Sieg werden die Konföderierten ihre Soldaten nur kurze Zeit bei den Fahnen halten können. Wenn sie also danach trachten, sich Karolinas zu bemächtigen, dann können sie es nur tun, solange sie noch Zehntausende kriegserfahrene Kämpfer unter Waffen haben.«
    Er erhob sich und ging hinüber zum Kamin, über dem eine großformatige, goldgerahmte Karte Nordamerikas hing. Indem er nacheinander auf verschiedene Gebiete wies, fuhr er fort: »Vielleicht führen die Konföderierten, sobald ihr Sieg feststeht, ja General Braggs Tennessee-Armee in Eilmärschen heran, um schnellstens diese Provinz zu erobern. Oder Lees Nordvirigina-Armee. Oder die Mississippi-Armee. Nur müssten sie halt unverzüglich handeln, ehe die Regimenter einfach zerfallen.«
    »Ich bitte um Vergebung, Hoheit. Aber was macht Sie so gewiss, dass die konföderierten Staatsführung die Absicht hegt, Karolina zu annektieren?«, fragte Regierungsrat Küfner, der hinter den dicken Gläsern seiner Brille skeptisch blinzelte.
    »Ich bin mir keinesfalls gewiss. Aber wir müssen gewappnet sein«, entgegnete der Kronprinz unbeirrt. »Sie wissen so gut wie ich, mit welchem unversöhnlichen Hass viele einflussreiche Südstaatler auf uns blicken. Wir dürfen uns doch nicht blauäugig darauf verlassen, dass sie ihre auf lange Zeit einzige Chance, aus Karolina wieder South Carolina zu machen, ungenutzt vorüberziehen lassen.«
    Dass auch ihm erst durch Rebekka Heinrich die Augen geöffnet worden waren, verschwieg er. Das Eingeständnis, auf die Warnungen einer Frau hin zu handeln, hätte seiner Autorität zu sehr geschadet. Gerade jetzt aber durfte er das Gewicht seines

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