Die Fahrt des Leviathan
er ihn deutlich respektvoller, als er ansonsten Menschen zu begegnen pflegte. »Gestatten Sie mir, meiner Freude über unser Wiedersehen nach so langer Zeit Ausdruck zu verleihen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Überfahrt?«
Der General schickte sich gewohnheitsmäßig an, auf militärische Art zu grüßen. Erst im letzten Augenblick entsann er sich, dass er ja in Zivil war, und zog stattdessen den Hut. Sonst allerdings ließ nichts darauf schließen, dass ihm die Uniform näher lag als die bürgerliche Kleidung. Sein asketisches Gesicht mit den hellen Augen, aus denen ein alles wahrnehmender und stets aktiver Intellekt sprach, war eher das eines Gelehrten. Das schlecht sitzende Toupet und die alles andere als straffe Körperhaltung taten ein Übriges, seinem Erscheinungsbild eine denkbar unmilitärische Note zu verleihen.
»Wir blieben von Stürmen verschont«, entgegnete er knapp. Dabei bedachte er Kolowrath mit einem Blick, der merkliche Anzeichen von Abneigung in sich trug.
Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Begegnung mit dem Geheimagenten als notwendiges Übel betrachtete.
Kolowrath seinerseits gab vor, nicht zu bemerken, welche Geringschätzung sein Gegenüber ihm entgegenbrachte, und sprach weiter: »Das ist höchst erfreulich. Ich darf annehmen, Sie haben die
Leviathan
gesehen, als Sie in Hamburg an Bord gingen?«
»So ist es«, bestätigte der General im Tonfall nur widerwillig abgerungenen Lobes: »Gute Arbeit. Ich hätte nicht geglaubt, dass es Ihnen gelingen würde. Wie ist die Lage hier vor Ort?«
»Ich kann Ihnen berichten, dass die Entwicklung unseren Erwartungen entspricht. Dank meiner Kontakte zum Kommandeur des Militär-Sicherheits-Detachements bin ich über die Zustände in der Provinz bestens unterrichtet. Die öffentliche Stimmung ist sehr aufgeheizt, doch meiner Einschätzung zufolge noch nicht in einem solchen Maße, dass wir mit dem unkontrollierten Ausbruch von Unruhen rechnen müssten, ehe wir zum Zuge gelangen«, fasste Kolowrath zusammen.
Der General drückte durch ein sparsam dosiertes Nicken Zufriedenheit aus.
Dann drehte er sich zur Seite, weil gerade der Schiffssteward mit seinen beiden Koffern die Gangway hinabgekommen war. Er erteilte Anweisung, das Gepäck zur Zollkontrolle zu bringen, doch Kolowrath ließ den General wissen, dass dazu keine Notwendigkeit bestünde.
»Ich habe gewisse Arrangements getroffen, damit Ihnen die Behelligung durch die Douaniers erspart bleibt«, erläuterte er. »Meine Droschke wartet dort drüben. Begeben wir uns zum Hôtel Belle-Alliance, wo ein Zimmer erster Kategorie für Sie reserviert ist. Ich hoffe, es findet Ihre Zustimmung.«
»Ich stelle fest, dass Ihre akkuraten Planungen sich auch auf die unscheinbarsten Details erstrecken.«
Kolowrath lächelte. »Wir sind immerhin dabei, einen kleinen Krieg zu entfesseln, Herr General. Da ist es besonders ratsam, aller Eventualitäten Herr zu sein.«
»Wenn Sie ernsthaft so denken, sind Sie nicht halb so klug, wie Sie zu sein glauben«, beschied ihn der General kühl. »Krieg ist seiner ganzen Natur nach eine Aneinanderreihung von Unwägbarkeiten. Niemand kann sie alle im Vorfeld vollständig bändigen. Und Sie schon gar nicht.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging hinüber zur Droschke. Kolowrath biss sich auf die Lippe und folgte ihm mit verfinsterter Miene.
* * *
»Sie stimmen mir gewiss darin zu, Gentlemen, dass dies exzellente Nachrichten sind«, sagte Kolowrath, nachdem er den Brief vollständig verlesen hatte.
»Exzellent ist gar kein Ausdruck, Oberst«, entgegnete Beaulieu . Er hob sein Whiskeyglas und verkündete: »Auf das Evidenz-Büro, das wahre Wunder zu vollbringen imstande ist! Meine Hochachtung.«
Weaver beeilte sich, ebenfalls sein Glas zur Hand zu nehmen und sich den Worten des Südstaatlers anzuschließen, wobei er nicht verfehlte, auch Kolowraths Leistung zu bedenken. Der Österreicher erhob dagegen keine Einwände.
Die drei Männer saßen im Salon von Kolowraths Haus in Schönhöhe beisammen. Das kurzfristig anberaumte abendliche Zusammentreffen fand aus besonderem Anlass statt. Mit der
Suebia
war an diesem Tag ein Brief eingetroffen, den Augustus Hendricks gleich am Tag nach seiner Ankunft in Hamburg abgeschickt hatte. Mit größter Anerkennung äußerte er sich darin über die getroffenen Vorbereitungen und führte aus, dass die
Leviathan,
sofern keine größeren Zwischenfälle eintraten, dank der vorgefundenen perfekten Organisation
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