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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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pünktlich am ersten Februar die Rückfahrt antreten würde.
    »Und wann wird der Köder für Lincoln ausgelegt?«, wollte Beaulieu wissen. Seine Stimme verriet Ungeduld; er konnte es unverkennbar nicht erwarten, die Dinge in Bewegung zu wissen.
    »Dieser Tage spricht unser Mittelsmann bei ihm vor«, antwortete Kolowrath, »und präsentiert ihm die
Leviathan
als ebenso leicht zu erringende wie spektakuläre Trophäe auf einem Silbertablett. Dem wird er nicht widerstehen können. Angesichts des Kriegsverlaufs benötigt er publikumswirksame Erfolge so dringend wie ein Verdurstender das Wasser.«
    Weaver leerte sein Glas in einem Zug und schluckte den Whiskey etwas überhastet hinunter, um nur recht schnell mit dem herausplatzen zu können, was er für eine geistvolle Bemerkung hielt: »Aber in zu viel Wasser kann man auch ertrinken. Doch das wird der Gorilla im Weißen Haus erst merken, wenn sein Kadaver bereits auf den Wellen dümpelt.«
    Der Verleger brach über seine eigenen Worte in so heftiges Lachen aus, dass die wulstig aus dem steifen Hemdkragen quellenden Massen seines Kinns erbebten.
    Beaulieu stimmte ein, nicht weil er den rohen Scherz originell fand, sondern weil ihn die Vorstellung eines tot im Wasser treibenden Abraham Lincoln erfreute.
    Nur Kolowrath hielt sich zurück und begnügte sich mit einem erheiterten Grinsen, während er die leeren Gläser seiner Gäste erneut auffüllte.
    »Trinken wir, Gentlemen«, sagte er dann, als er den Kristallverschluss wieder in den Hals der Flasche steckte. »Auf den baldigen Erfolg, die Frucht gemeinsamer Anstrengungen und unseres bedingungslosen Vertrauens zueinander.«
    Über die Ankunft des Generals, der ja mit dem gleichen Schiff wie Hendricks’ Brief in Friedrichsburg eingetroffen war, verlor Kolowrath gegenüber seinen Verbündeten kein Wort.

31. Januar
    Abwesend kaute Amalie auf einem Bissen ihres Frühstücksbrötchens. Rebekka beobachtete sie unauffällig über den Rand der Zeitung hinweg; mit Besorgnis verfolgte sie, wie die Lehrerin mit jedem Tag schwerer an der Ungewissheit trug. Immer öfter verfiel Amalie in stumme Niedergeschlagenheit oder plötzlich aufwallende Reizbarkeit, manchmal folgte gar das eine abrupt auf das andere. Die Direktorin tat ihr Bestes, sie in solchen Momenten aufzumuntern, doch meist mit geringem Erfolg. Außerdem kam sie sich wie eine Heuchlerin vor, wurde sie doch selber von Trübsinn heimgesucht, gegen den sie nichts ausrichten konnte.
    »Das ist interessant«, bemerkte sie. »Die Zeitung berichtet über die
Leviathan.
«
    Schlagartig war Amalies Aufmerksamkeit wieder erwacht. »Was steht dort? So sagen Sie es mir doch!«, bestürmte sie die Direktorin.
    »Weder viel noch Erhebendes, leider«, versuchte Rebekka ihre Erwartungen zu dämpfen. »Nur ein Absatz ist wirklich von Interesse:
Es theilte uns Mr. Charles
Beaulieu namens der Victoria=Reederei mit, daß mit dem Packet=Schiff am Donnerstage Meldung vom Capitain der »Leviathan« eingegangen sei, wonach sie glücklich Hamburg erreicht habe und mit ihrer neuen Fracht, welche einzig aus neuntausend Tonnen Mehls besteht, bereits am Ersten des neuen Monats die Rückreise antreten werde. Gesetzt den Fall, das gegenwärtige ruhige Wetter über dem Oceane erweist sich als so beständig wie allseits prognosticirt, woran niemand ernstlich Zweifel hegt, kehrt die »Leviathan« wohl am 13ten nach Friedrichsburg zurück.
«
    Brüsk warf Amalie ihr Marmeladenbrötchen auf den Teller. »Das ist ungerecht!«, brauste sie auf. »Warum trifft eine Mitteilung von dem Kapitän ein, aber nicht von Georg? Er wollte uns doch schreiben. Ich muss wissen, ob er wohlauf ist!«
    »Bedenken Sie, dass er zunächst Informationen erlangen musste. Vielleicht schickte er seinen Brief erst an einem der nachfolgenden Tage ab. Dann könnte es noch eine Woche oder länger dauern, bis dieser uns erreicht . Das Ausbleiben eines Schreibens will doch gar nichts besagen.«
Jedenfalls jetzt noch nicht,
setzte Rebekka für sich hinzu. Sie wusste ganz genau, dass Amalie das Gleiche dachte, und gerade darum sprach sie es nicht aus.
    Die Lehrerin gab einen verdrießlichen Seufzer von sich. »Sie haben ja recht. Und mein Verstand weiß das alles. Nur ist dies eben keine Angelegenheit des Ver– Moment mal!«
    Sie brach so jäh mitten im Satz ab, dass Rebekka stutzte. Amalie vollführte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung, die wohl andeuten sollte, dass sie in schneller Folge eine Reihe von Überlegungen anstellte,

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