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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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der Einrichtung war nichts verblieben als der Waschtisch mit dem eingelassenen doppelten Porzellanbecken und dem großen Spiegel. Obwohl das Mobiliar fehlte, wirkte die Kabine auf Täubrich erdrückend klein. Warum Hendricks ihn dorthin gebracht hatte, konnte er sich nicht erklären. Wollte er ihn ausgerechnet hier umbringen?
    Hendricks fasste den Rand des Beckens und zog daran. Unter leisem Knarren schwang der Waschtisch mitsamt Spiegel vor und gab einen Durchgang in der Wand frei.
    »Eine Geheimtür?«, sagte Täubrich; er war erstaunt, doch seine fast tonlose Stimme verriet es nicht.
    »Mehr als das«, entgegnete Hendricks. »Die Hamburger Zimmerleute haben mit dieser neuen Wand makellose Arbeit geleistet. Niemand würde vermuten, dass diese Kabine nur halb so groß ist, wie sie sein sollte.«
    Er bedeutete Täubrich voranzugehen. Bemüht, seine Verunsicherung nicht zu zeigen, durchschritt der Arzt die Öffnung und gelangte in den verborgenen Raum, der vom Schein einer leise zischenden Gaslampe gegenüber vom dick verglasten Bullauge erhellt wurde. Was Täubrich dort vorfand, stellte ihn vor ein Rätsel. Auf einem Tisch stand ein seltsamer Apparat von der Größe einer Doktortasche. An seiner Vorderseite prangte ein Zifferblatt, das anstelle der gewöhnlichen Einteilung in zwölf Stunden weitaus mehr Zahlen aufwies. Die Zahnräder und Metallteile des zugehörigen Mechanismus lagen frei und verliehen dem Gerät den Charakter eines allein der Zweckmäßigkeit verpflichteten Provisoriums. Daneben stand, in einer eigenen Halterung fest verankert, ein halbes Dutzend zylindrischer Keramikbehälter, von deren Deckeln Kupferdrähte zu dem geheimnisvollen Apparat führten. Vom Mechanismus wiederum liefen mehrere daumendicke Kautschukschläuche auf den Boden und verschwanden dort in Löchern. Wozu diese Vorrichtung diente, konnte Täubrich nicht einmal raten. Dennoch erfüllte ihn die Maschine mit Beklemmung. Etwas Dämonisches schien der bizarren Ansammlung aus Rädchen und Drähten innezuwohnen.
    »Dieses Gerät ist etwas ganz Besonderes. Eine Kombination aus Uhr und Telegraph«, erklärte Hendricks und trat neben den Tisch. »Ist eine bestimmte Zeitspanne verstrichen, löst das Uhrwerk den Telegraphen aus, der dann durch diese Leitungen« – er zeigte auf die mit Kautschuk umwickelten Drähte, die durch die Bodendielen führten – »ein elektrisches Signal sendet. Auf diese Weise werden in der gleichen Sekunde fünfzig Sprengladungen gezündet, die sich gut verborgen überall zwischen der Ladung befinden.«
    Beinahe liebevoll fuhr der Kapitän mit den Fingerspitzen über den schmucklosen Stahlrahmen, der das Gerät zusammenhielt. »Eine wirklich brillante Konstruktion haben sich die Ingenieure von Siemens & Halske einfallen lassen. Und das ganz ohne zu fragen, wozu sie benötigt wird. Musterhaft, dieser preußische Gehorsam«, lobte er ironisch.
    Nun glaubte Täubrich, die Absichten des Kapitäns durchschaut zu haben. »Darum das Licht! Sie wollen Unionsschiffe herlocken und dann durch die Explosion der
Leviathan
versenken. Das ist perfide!«, platzte er aufgebracht heraus.
    Die Empörung des Arztes belustigte Hendricks so sehr, dass er ein herablassendes Lachen von sich gab. »Wen kümmern ein paar Schiffe? Sie denken zwergenhaft. Wenn die Yankees hier eintreffen, werden sie die
Leviathan
mitnehmen. So lauten nämlich die Befehle ihres ach so klugen Präsidenten, dem zugetragen wurde, dass ein Teil der Mannschaft Schiff und Ladung dem Norden ausliefern will. Und Sie wissen bestimmt, dass nur ein Hafen weit und breit dieses Ungeheuer aufnehmen kann.«
    »Sie meinen doch nicht –«
    »Aber ja. Die
Leviathan
wird im Hafen von New York explodieren.«
    »Oh Gott! Das wird Tausende Tote geben«, stammelte Täubrich; vor Entsetzen stockte ihm die Stimme.
    »Hunderttausende«, korrigierte ihn Hendricks. »Die neuntausend Tonnen Pulver werden nämlich zur Mittagsstunde detonieren, wenn in den Straßen Manhattans dichtes Gedränge herrscht. Solche Effizienz müsste ihrer preußischen Seele doch imponieren.«
    Der Kapitän lachte erneut; seine kurzen, hämmernden Lacher waren höhnische Tritte, die er seinem wehrlosen Gegner versetzte.
    Täubrich geriet in Rage und stieß voller Zorn hervor: »Ich sollte Ihnen den kranken Schädel einschlagen, verdammtes Schwein!«
    Hendricks schüttelte abfällig den Kopf. »Dazu fehlt Ihnen der Schneid. Am Schicksal New Yorks könnten Sie damit ohnehin nichts ändern . An Ihrem eigenen

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