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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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übrigens auch nicht. Sie werden nämlich in diesem Raum sein. Gefesselt und geknebelt, mit gutem Blick auf das Zifferblatt. Wie gefällt Ihnen Ihr Logenplatz bei einem Ereignis der Weltgeschichte?«
    Abermals brach Hendricks in rohes Lachen aus, diesmal derart heftig, dass bei jedem Luftholen unter pfeifendem Röcheln Speichel aus dem klaffenden vernarbten Loch an der Seite seines Mundes spritzte. Täubrichs Wut verdichtete sich zu Hass.
    Mit einem Satz schnellte er nach vorne und stieß Hendricks zu Boden. Dann ergriff er die Beinprothese und riss mehrmals nacheinander mit solcher Gewalt an ihr, dass die Schnallen der Halteriemen brachen. Hendricks schrie vor Schmerzen, bäumte sich auf, schlug wild mit dem Arm um sich. Nichts davon konnte Täubrich zurückhalten. Er zerrte mit einem letzten kräftigen Ruck die Prothese vom Beinstumpf, holte mit ihr weit aus und schlug zu. Das schwere Holz krachte in den Mechanismus. Nach allen Seiten flogen Rädchen des zerschmetterten Uhrwerks. Während Hendricks sich in Höllenqualen auf dem Boden wand und brüllte, prügelte Täubrich wie von Sinnen wieder und wieder auf die Maschine ein. Der stählerne Rahmen zerbrach, Metallteile wirbelten durch die Luft, aus den zertrümmerten Batterien ergoss sich Flüssigkeit.
    Täubrichs letzter Hieb ließ die Prothese nur noch in bis zur Unkenntlichkeit verbogene und zerstörte Überreste krachen. Dann traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf und er stürzte in bodenlose Schwärze.
     
    * * *
     
    Langsam wich der dunkle Nebel der Bewusstlosigkeit aus Georg Täubrichs Geist. Dröhnende Kopfschmerzen waren das Erste, was er wieder wahrnahm. Er öffnete die Augen, kniff die Lider gleich wieder zu; das Licht stach glühend in seine Pupillen. Erst nach vielem Blinzeln und mit Überwindung konnte er die Helligkeit ertragen.
    Täubrich stellte fest, dass er sich noch immer in dem geheimen Raum befand. Den Rücken an die Wand gelehnt saß er auf dem Boden, Hände und Füße stramm gefesselt. Neben ihm stand seine Arzttasche; weshalb man seine Instrumente hierher gebracht hatte, war ihm schleierhaft. Der Telegraphenapparat war, wie Täubrich deutlich ausmachen konnte, vollkommen entzwei. Das verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung. Nun gab es für Hendricks und seine Komplizen keine Möglichkeit mehr, das Schiff in New York in die Luft zu jagen. Die Gewissheit, den infamen Plan vereitelt zu haben, ließ Täubrich sogar seinem Schicksal etwas gefasster entgegensehen.
    Er bereitete sich darauf vor, dass jeden Moment jemand hereinkommen und ihn erschießen würde.
    In seinem letzten Augenblick wollte er an Amalie denken, an nichts anderes.
    Schritte näherten sich jenseits der Tür. Er erkannte die schweren Tritte von Hendricks’ Prothese. Täubrich schluckte einen Knoten im Rachen hinunter und raffte seine ganze Stärke zusammen, um mit Selbstachtung in den Tod zu gehen. Er wollte Hendricks kein würdeloses Schauspiel bieten, nicht um sein Leben flehen und betteln. Diese Befriedigung sollte der Wahnsinnige nicht haben.
    Die Schritte erreichten die Tür. Täubrich hatte einmal gehört, dass Menschen, die einander alles bedeuteten, auch über große Distanzen hinweg empfinden konnten, wenn der andere intensiv an sie dachte. Er glaubte nicht daran. Trotzdem richtete er alle seine Gedanken auf Amalie.
    Vielleicht ist es ja doch wahr,
hoffte er.
Spürst du mich, Amalie? Amalie …
    »Ich hätte dich dreckigen Hurensohn aufschlitzen und ins Meer werfen sollen!«, dröhnte Augustus Hendricks, als er in den Raum stampfte.
    Täubrich sah ruhig zu ihm auf. »Tun Sie’s.«
    »Das hättest du wohl gerne, ein schnelles Ende, du stinkendes Dreckschwein!«, fluchte der Kapitän, den Täubrichs stoische Gelassenheit aufbrachte. »Aber ich brauche dich noch. Ich bleibe an Bord und zünde das Schießpulver selber. Und du gibst mir bis dahin meine Morphiumspritzen.«
    Täubrich hatte Hendricks nahezu alles zugetraut. Doch dass der Kapitän, getrieben von seinem bis zum Wahnsinn übersteigerten Hass auf alle Nordstaatler, sogar in den Tod gehen würde, um seine Gier nach Rache zu befriedigen, hätte er niemals für möglich gehalten.
    »Das werde ich nicht tun«, widersprach er entschieden. »Krepieren Sie doch vor Schmerzen.«
    Hendricks’ von Narbengeflecht überwuchertes Gesicht verzog sich zu einer wutroten Grimasse, doch er schaffte es, sich zu beherrschen. »Schmerzen, du sagst es«, entgegnete er. Dann zog er seinen Revolver und deutete mit dem Lauf

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