Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
des Lagerhauses von der Richmond-Handelsgesellschaft gemietet hatte.
    Erst nachdem Healey unermüdlich wiederholt hatte, dass dieser Vertrag von seinem Vorgänger abgeschlossen worden sei, er selber sich erst seit wenigen Tagen in Karolina aufhielt und er in dieser Zeit keinen der wenigen Geschäftspartner des Unternehmens getroffen hatte, war der Polizeirat widerstrebend bereit gewesen, das Verhör zu beenden und ihn gehen zu lassen.
    Einfach großartig,
dachte Healey missgestimmt.
Ich habe die Geschäftsführung für eine mausetote Firma, zwei Fremde bringen sich in meinem Lagerhaus gegenseitig um, ich bin todmüde und ich habe noch immer keine Ahnung, wie ich Fräulein von Rheine finden kann. Wenn es einen Gott gibt, dann lacht er wahrscheinlich gerade lauthals über mich.
    Er führte den Becher für einen weiteren Schluck Kaffee zum Mund, da öffnete sich die Tür und von der Straße trat ein Mann in das Büro. Er war von eher schmächtiger Gestalt und trug einen hohen Zylinder zum schlichten schwarzen Gehrock. Sein wenig aussagekräftiges Gesicht gewann nur durch den dünnen Schnurrbart und die kleine Brille mit den runden Gläsern ein wenig Charakter.
    »Habe ich die Ehre mit Mr. Healey, dem Generalbevollmächtigten der Richmond-Handelsgesellschaft?«, erkundigte er sich in makellos formuliertem Englisch, doch mit schwerblütigem teutonischem Akzent.
    Healey stellte den Becher beiseite und deutete einladend auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. »Das bin in der Tat ich«, antwortete er auf Deutsch. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Mit wem habe ich das Vergnügen?«
    Der Besucher nahm den Hut ab und setzte sich. »Hier in Karolina kennt man mich gegenwärtig als Gustav Krüger. Doch es besteht keine Veranlassung, dass Sie sich diesen Namen merken. Er ist falsch.«
    »Verzeihen Sie, wenn ich eine ungebührliche Neugierde an den Tag lege. Doch darf ich mir dir Frage gestatten, weshalb Sie sich eines falschen Namens bedienen? Und wie lautet Ihr tatsächlicher Name?«
    »Das sind bereits zwei Fragen«, entgegnete der Besucher mit einem undurchsichtigen Lächeln. »Aber beide sind voll und ganz gerechtfertigt, daher will ich sie Ihnen beantworten. Mein Auftrag erfordert, dass ich alle Außenstehenden täusche. Und was meine wirkliche Identität betrifft …«
    Er blickte sich argwöhnisch um und vergewisserte sich, dass kein Unbefugter seine Worte hören konnte. Dann räusperte er sich und fuhr fort: »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Wenzel Edler von Kolowrath, Oberst in Diensten Seiner Apostolischen Majestät des Kaisers Franz Joseph.«
    »Das heißt – Sie sind Offizier der österreichischen Armee?«, staunte der Amerikaner perplex. Er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, weshalb ihn ein österreichischer Oberst aufsuchte, der sich zudem unter falschem Namen in Karolina aufhielt. Doch es gelang ihm nicht.
    Kolowrath vollführte eine Geste, mit der er andeutete, dass Healey leiser sprechen sollte. »Nicht ganz«, verbesserte er. »Ich gehöre dem Evidenz-Büro an.«
    Healeys Verwirrung steigerte sich weiter. »Was ist das Evidenz-Büro? Ich habe noch nie davon gehört.«
    Der Österreicher erhob sich von seinem Platz und ging hinüber zur Wandkarte, wobei er ruhig erläuterte: »Nun, Sie würden es vermutlich einen Geheimdienst nennen. Aber das ist so ein furchtbar uneleganter Begriff. Unsere Aufgabe besteht darin, Informationen über andere Staaten zu sammeln: was ihre Absichten sind, wo ihre Schwächen und Stärken liegen.«
    Vor der großen Karte der Konföderation blieb er stehen und betrachtete die roten und blauen Fähnchen. »Gelegentlich allerdings werden wir auch auf andere Weise tätig, wenn es die Interessen Österreichs verlangen«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
    Healey spürte, dass sich sein Pulsschlag beschleunigte.
    Die Situation gefiel ihm ganz und gar nicht. Er wusste nicht viel über die Verwicklungen der europäischen Politik, doch immerhin genug, um sich instinktiv darüber klar zu sein, dass er gerade in diesen Minuten unwillentlich in die Eifersüchteleien zwischen Österreich und Preußen hineingezogen wurde. Was genau Kolowrath im Schilde führte, wusste er zwar nicht; doch er ahnte, dass es unbehaglich werden könnte.
    »Dann ist Ihr Erscheinen bei mir vermutlich auch den Interessen Österreichs geschuldet?«, erkundigte er sich vorsichtig.
    Kolowrath nahm weiterhin die Landkarte in Augenschein. Mit dem Finger fuhr er die unsichtbaren Frontlinien

Weitere Kostenlose Bücher