Die Fahrt nach Feuerland
Freund.
Wie kann man einem Hund klarmachen, daß der Kerl ein Gangster gewesen ist? dachte Losskow. Dann sagte er: »Wir müssen uns über eins im klaren sein: Vor uns liegen vier Wochen Einsamkeit. Wenn es Flauten gibt, können es auch sechs oder acht Wochen werden, bis wir wieder Land sehen. Ich will an St. Paul und Fernando Noronha vorbei in möglichst gerader Richtung ins Argentinische Becken hinein.« Er sah Trosky prüfend an.
»Von mir aus«, sagte Trosky brummend. »Du bist der Boß!«
»Wir können auch springen, Jan. Von Fernando nach Recife und dann in Küstennähe weiter bis zu den Falkland-Inseln. Dort überholen wir die Helu und machen uns bereit für Feuerland und Kap Horn.«
»Warum nicht den direkten Weg?«
»Dein Strohballen gefällt mir nicht.«
»Er soll ja auch keinen Schönheitspreis gewinnen.«
»Acht oder mehr Wochen Einsamkeit, Jan! Ich will Ruhe an Bord haben!«
»Fängst du schon wieder an? Angst, daß ich durchdrehe, was?!«
»Ganz ehrlich: Ja!«
»Dafür ist das Stroh da!« Trosky grinste. »Laß dich überraschen.«
»Ich mag keine Überraschungen an Bord. Jan, alles, was hinter uns liegt, war ein Spielchen gegen das, was noch auf uns zukommt.«
»Ich weiß es, großer Meister! Und ich scheiß' auf deine Belehrungen. Ich tue, was nötig ist. Und nötig ist jetzt Essen. Ich habe einen Mordshunger.«
Mr. Plump kam an Deck, schielte Trosky an und zog die Lefzen hoch. Das war schon ein großer Fortschritt: Er nahm seinen Feind wieder wahr.
»Den brate ich auch noch mal!« brummte Trosky und zog die Mütze tiefer in die Stirn. »Aber gut, daß es ihn gibt! Wo keine Reibung ist, gibt's auch keinen Funken.«
Nach acht Tagen ruhiger Fahrt, in der sie gut vorankamen, begann Trosky, sich um seinen Strohballen zu kümmern. Er bog aus mitgenommenen Ruten einen großen Reifen, um dann aus Bindfäden ein Geflecht zu spannen, in das er kunstvoll das Stroh verflocht.
Nach drei Tagen wußte Peter, was es werden sollte.
»Er bastelt eine große Schießscheibe«, sagte er unter Deck zu Helena und Lucrezia. »Ich nehme an, er will Bogenschießen. Soll er! Das ist mir lieber, als wenn er hier herumsitzt und uns tyrannisiert.«
Das Leben an Bord hatte sich eingespielt; alle wußten, daß sie jetzt wirklich auf Gedeih und Verderb voneinander abhängig waren. Es gab in den nächsten Wochen keine Möglichkeit mehr, vor einander zu flüchten oder – wenn das Zusammenleben zur unerträglichen Qual werden sollte – irgendwo auszusteigen. Um sie herum war nur noch der Ozean, war der Himmel, auf dessen Gnade sie jetzt angewiesen waren. Was auch kam, sie mußten es hinnehmen, es ertragen, sich beugen: Sonne und Nebel, Windstille oder Sturm, glutende Hitze oder Regen, ruhig schimmernde See oder tobende, haushohe Wellen. Es gab nur ein Ziel: Hindurch! Hinunter nach Feuerland. Ans Ende der Welt.
Am 14. Tag – es war ein Sonntag, wie Peter von Losskow auf seinem Kalender feststellte – hatte Trosky seine große Schießscheibe endlich fertig. Er spannte sie mit Seilen vor die Bugreling und pinnte dann auf das Strohgeflecht ein großes Blatt Papier, das er in der Nacht bemalt hatte.
Helena, die gerade an Deck kam, um Peter und Trosky eine Kanne Tee mit Zitrone zu bringen, verschwand sofort wieder im Niedergang und winkte Lucrezia zu sich, die seit drei Tagen an einem Mikroskop saß und ihre wissenschaftliche Arbeit aufgenommen hatte. Sie untersuchte die Mikroben in Tiefsee-Wasserproben.
»Er hat die Scheibe mit einem Gemälde verziert«, sagte Helena. »Das mußt du dir ansehen. Ich frage mich, was in dem Kopf dieses Menschen vorgeht.«
Als sie an Deck stiegen, saß Trosky mit Pfeil und Bogen am Heck und schien voller Freude zu sein. Lucrezia warf einen Blick auf das ›Gemälde‹ und schob die Unterlippe vor. Vom hellen Sonnenlicht noch in den Konturen verstärkt, leuchteten ihr zwei pralle, sehr naturalistisch gemalte Brüste entgegen. Ohne Zweifel, Trosky stellte sich als eine zeichnerische Naturbegabung vor.
»Na, wie gefällt es dir?« schrie Trosky vom Heck.
»Ich habe immer geahnt, daß du ein perverser Hund bist!« sagte Lucrezia.
»Gib dir keine Mühe und stell dich vor den Spiegel – du bist es nicht! Nicht allein. Auch Helena ist drin. Aus euch beiden habe ich die Idealbrust gemacht!« Er zupfte an der Sehne des Bogens. Dann legte er einen Pfeil an, zielte und ließ die Sehne schnellen. Der Pfeil driftete durch den Wind etwas ab und blieb am oberen Rand der Scheibe stecken. Trosky
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