Die Fahrt Zu Den Sternen
erspähte Acorna verblüfft Nadhari Kando, Delszaki Lis Leibwächterin. Für Spekulationen, was ausgerechnet Nadhari hier zu schaffen hatte, fehlte ihr jedoch die Kraft. Ihre Aufmerksamkeit wurde statt dessen ganz und gar von den Wesen in Anspruch genommen, die ihr selbst so ähnlich und doch zugleich so unähnlich waren, die so unhöflich waren, in ihrer Gegenwart über sie zu reden, als ob sie überhaupt nicht da wäre. Acorna begriff zwar nicht recht, wie sie die Linyaari schon so deutlich hatte hören können, als diese noch eine ganze Strecke weit entfernt gewesen waren, aber das war ja im Augenblick auch nicht wirklich von Belang.
»Was müßt ihr mir erzählen?« wollte sie vielmehr wissen.
Die hochgewachsene Frau an der Spitze der Gruppe blinzelte und sagte irgend etwas in einem Schwall flüssiger, nasaler Laute, dem Acorna keinerlei Sinn zu entnehmen vermochte.
Sie schüttelte verständnislos den Kopf, kam sich begriffsstutzig und dumm vor und war sich jählings überdeutlich des Schweißes bewußt, der ihren Overall durchtränkte, und des Schlammes, der ihn mit braunen Flecken besudelte.
(Ich dachte, du hättest gesagt, daß sie schon alt genug war, um sprechen zu können, als Vaanye und Feriila sie auf diesen unglückseligen Ausflug mitgenommen haben, Neeva! Was ist los mit ihr? Ob sie womöglich zurückgeblieben ist, was meint ihr?)
(Wahrscheinlich nur vernachlässigt. Die Zweifüßer konnten ja schließlich nicht wissen, wie sie sich um einen von uns kümmern müssen.)
Also so was! In all ihren kindlichen Phantasien darüber, wie es wohl sein mochte, wenn sie endlich ihrem eigenen Volk begegnete, hätte sie sich nie etwas Derartiges träumen lassen!
Acorna schnaubte ein verächtliches »Whuff!« durch ihre Nüstern und hob stolz den Kopf; sie vergaß den Schlamm auf ihren Kleidern und alle Zweifel, ob sie vor den Augen dieser Linyaari würde bestehen können.
»Mit mir ist überhaupt nichts los«, ließ sie ihre Artgenossen in bedächtigen und klar verständlichen Worten wissen, »außer daß ich mit ungehobelten Verwandten geschlagen bin. Ich habe mir immer alle möglichen Dinge über die Leute aus meinem Volk ausgemalt. Aber eines hätte ich nie im Leben gedacht, nämlich daß sie sich als Rüpel herausstellen würden.
Ich bin nicht zurückgeblieben, und Calum und Gill und Rafik haben sich besser um mich gekümmert, als ihr euch das je vorstellen könnt, und ich bin stolz darauf, von ihnen großgezogen worden zu sein!«
Neben ihr bewegte sich die junge Frau, mit der sie sich angefreundet hatte, unbehaglich.
»Wovon reden Se denn?« fragte sie verstört. »Die harn’ doch überhaupt noch kein Wort nich’ gesagt, außer diesem fremdlännischen Kauderwelsch da, un’ ich glaub’ nich’, daß Se davon eine Silbe mehr verstan’ ham’ als ich!«
Verwirrt runzelte Acorna die Stirn. Das stimmte – auch sie hatte das einzige, was die Linyaari laut geäußert hatten, nicht verstanden. Und trotzdem hatten sie doch auch diese anderen Dinge gesagt… oder etwa nicht?
(Ach, meine arme ‘Khornya! Hast du denn noch nie Gedankensprache gehört?)
(Natürlich nicht, Neeva. Denk dran, sie ist von Barbaren aufgezogen worden.)
(Achte einfach nicht auf das törichte Geschwätz von Thariinye, Liebes. Er ist ein unheilbarer Flegel… und häufig viel zu wenig linyarii!)
Dieser unübersetzbare Begriff vermittelte auf eine Weise, wie sie nur der Gedankensprache möglich war, eine ganze Fülle vielschichtiger Bedeutungsinhalte auf einmal und bündelte Begriffsfelder wie »Leute wie wir«, »zivilisiert«,
»vernunftbegabt« und »ethisch handeln« zu einem einzigen gedanklichen Ausdruck.
Acorna setzte zu sprechen an, schloß dann aber bewußt die Lippen und versuchte statt dessen, es ihren Gegenübern gleichzutun und mit reiner Gedankenkraft zu antworten.
(Vielleicht… bin ich… ja auch nicht… linyarii. Es ist wahr…
ich wurde von diesen Leuten aufgezogen… die ihr »Barbaren«
nennt – UND ICH LIEBE SIE!) endete sie mit einem verzweifelten, ungehemmten Ausbruch ihrer aufgestauten Empfindungen.
Eine der beiden weiblichen Linyaari, die etwas hinter ihrer Anführerin standen, zuckte gequält zusammen. (Sieh bitte zu, daß du ihr schleunigst beibringst, nicht so zu BRÜLLEN, Neeva.)
Neeva jedoch gab nun endgültig alle Zurückhaltung auf und schloß die verdutzte Acorna überschwenglich in die Arme. Sie berührte das Horn ihrer wiedergefundenen Verwandten mit dem ihren, und dieser Kontakt
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