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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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sich als unbegründet. Der junge Bursche winkte sie gähnend durch das Tor, während er mit der anderen Hand gelangweilt nach Essensresten zwischen seine Zähnen stocherte.
    Anneke rang sich ein scheues Lächeln ab, doch im Grunde fühlte sie sich so niedergeschlagen, daß sie am liebsten aufgeschrien hätte. Es gab einfach zu viele Betrübnisse, die ihr den Kopf schwermachten. Sie wußte nicht, ob sie rechtzeitig in Osnabrück eintraf, um Magnus Ohlin und die Königin vor Svante zu warnen. Nachdem sie Seybert den schmerzhaften Tritt zwischen die Beine verpaßt hatte, stand es wohl außer Frage, zur Monsbach-Schenke zurückzukehren; und zu guter Letzt hatte Charlotta kurz vor ihrer Ankunft in Osnabrück so heftig gebuckelt, daß Anneke auf die Straße gestürzt war und nur noch humpelnd vorankam, weil ihr Knie geschwollen war und bei jedem Auftreten ein stechender Schmerz durch den Oberschenkel fuhr.
    Nachdem Anneke das Tor passiert hatte, versuchte sie gar nicht erst, wieder aufzusteigen. Es wäre auch ohne ein geschwollenes Knie schon schwierig gewesen, auf den Rücken der Stute zu gelangen. So führte sie Charlotta also am Zügel durch die Straßen und Gassen. Glücklicherweise versperrte keine Karosse ihren Weg, so daß sie schon bald die Lohstraße erreichte, wo sie Charlotta an einen Baum band und vor die Haustür der Ohlins trat. Sie schaute die Fassade hinauf und versuchte eine Bewegung an einem der Fenster auszumachen. Es war niemand zu sehen. Das Haus wirkte wie tot.
    |290| Anneke klopfte an die Tür. Ohne Erfolg. »Herr Ohlin«, rief sie laut. Eine Antwort blieb aus. Vielleicht, so machte sich ein Hoffnungsschimmer in ihr breit, waren Magnus Ohlin und die Königin überhaupt nicht in die Lohstraße gefahren. Wäre es ohnehin nicht viel vernünftiger gewesen, als erstes Ziel das schwedische Gesandtschaftsquartier anzusteuern? Wahrscheinlich verweilten sie dort noch immer, und alles würde sich zum Guten wenden.
    »Seltsam«, murmelte eine Stimme direkt hinter ihr. Anneke wandte sich um und sah ein altes Weib, das einen großen Korb mit Rübenscheiben in den Armen hielt und ebenfalls zum Haus der Ohlins schaute.
    »Was meint Ihr?« wollte Anneke wissen.
    Die Alte zeigte auf das Haus. »Wundert mich, daß dich niemand hört. Ist nicht lang her, da fuhr hier eine Kutsche auf die Tenne.«
    »Habt Ihr gesehen, ob danach noch jemand das Haus verlassen hat?«
    Die Alte schüttelte den Kopf. »Kann nicht sein. Hab hier im Haus gegenüber am Fenster zur Straße meine Rüben geschnitten. Wäre jemand auf die Straße getreten, hätte ich das bemerkt.«
    Anneke stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihre neugewonnene Zuversicht wurde von einem Moment zum anderen zerstört. Magnus, die Königin und Malin Sörenstam mußten sich also noch im Haus befinden. Warum reagierte dann niemand auf ihr Klopfen? Hinderte Svante Ohlin sie daran? Hatte sie ihnen womöglich bereits ein Gift verabreicht? In Annekes Kopf tauchte plötzlich ein schreckliches Bild auf. Sie stellte sich vor, daß Ohlin und die beiden Frauen gekrümmt und leblos auf den Dielenbrettern lagen, mit toten Augen, die ins Leere starrten.
    Sie brauchte Gewißheit und humpelte darum bis zum Eingang der nebenliegenden Gasse. Vor einigen Tagen war |291| sie von dort schließlich schon einmal über die Mauer in den Hinterhof der Ohlins gelangt.
    Anneke erreichte den Apfelbaum, dessen Äste über die Mauer ragten, kletterte so rasch hinauf, wie es ihr lädiertes Knie erlaubte, und ließ sich auf der anderen Seite auf den Boden fallen. Das Knie protestierte heftig, doch Anneke rappelte sich auf und zog das Bein nach, als sie durch den Garten des Nachbarhauses hinkte und sich durch die Hecke zwängte.
    Von hier aus konnte sie im Hof der Ohlins die Kutsche sehen. Die Pferde waren noch nicht ausgespannt worden und tänzelten unruhig auf der Stelle. Sie lief geduckt auf das Gefährt zu, lugte durch das Seitenfenster in die leere Kutsche und betrat dann das Stallgebäude, das ebenfalls verlassen war.
    Anneke begab sich zurück zu den Pferden, legte ihre Hände auf das von kaltem Schweiß überzogene Fell und betrachtete bang die Rückseite des Hauses. Wenn sie Gewißheit darüber erlangen wollte, ob sich Ohlin und die Königin im Haus aufhielten, und wenn sie die Schweden vor der Gefahr, die ihnen durch Svante drohte, warnen wollte, mußte sie versuchen, dort hinein zu gelangen.
    Doch ihre Beine waren wie gelähmt. Als Kind hatte sie sich vor den Hexen gefürchtet, obwohl sie

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