Die Falken Gottes
Gott, zog seinen Mantel so weit über die verletzte Schulter, daß die Wunde verdeckt wurde, und führte die Stute zum Stadttor.
Dem Wächter an der Pforte warf er eine Münze zu, worauf dieser ihn mit einem dümmlichen Grinsen unbehelligt passieren ließ. Es fiel Dahlgren schwer, sich in Osnabrück zu orientieren. Nur wenige Menschen waren zu dieser Stunde noch auf den Straßen anzutreffen. Zwei Betrunkene kreuzten seinen Weg, schenkten ihm aber keine Beachtung. Einzig eine junge Frau, die ein Butterfaß in den Armen trug, bedachte ihn mit sorgenvollen Blicken. Dahlgren erreichte den Domplatz und ließ sich von hier den Weg zur Lohstraße weisen. Die Hand, die er in die Mähne des Pferdes krallte, zitterte heftig. Seine Kräfte verließen ihn nun endgültig. Vor seinen Augen verschwammen die Häuserreihen und schienen von einem Nebel verschluckt zu werden, doch Dahlgren hielt sich zumindest noch so lange im Sattel, bis er das Haus von Magnus Ohlin erreicht hatte.
Während der langen Stunden auf der Straße hatte er darüber gegrübelt, was ihn hier in der Stadt erwarten würde. Er wußte nicht, ob Ohlin bereits in Osnabrück eingetroffen war, ob er sich mit der Königin in seinem Haus aufhielt, ob die Kutsche vielleicht erst am nächsten Morgen die Stadt erreichen würde oder vielleicht sogar den Weg zurück nach Münster eingeschlagen hatte. Nun aber wurden alle Fragen belanglos. Dahlgren legte sein Schicksal in Gottes Hand, ließ sich aus dem Sattel gleiten und wankte auf die Haustür zu. Hier würde er auf die einzige Person treffen, der er nach Ekholms Tod noch vertrauen konnte und die ihm Hilfe zukommen lassen würde.
|245| Dahlgren schlug dreimal schnell hintereinander mit dem Eisenring gegen das Holz. Er wartete kurz, und als niemand darauf reagierte, wiederholte er das Klopfen. Nun endlich hörte er eine Stimme und Schritte.
Eine junge Frau, wahrscheinlich eine Magd, öffnete ihm und verzog bei seinem Anblick das Gesicht, als wäre er mit der Lepra geschlagen. »Wer seid Ihr, und was schlagt Ihr spät am Abend noch ein derartiges Getöse?«
»Laß mich ein!« verlangte Dahlgren.
Die Frau wich einen Schritt zurück. »Auf keinen Fall! So wie Ihr da taumelt, müßt Ihr sturzbetrunken sein.« Sie gab ihm einen Stoß mit der Hand, der ihn auf die Knie sacken ließ, dann wollte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Dahlgren stemmte seine Hand gegen das Holz, doch er wäre zu entkräftet gewesen, die Magd daran zu hindern, die Tür zu schließen, wenn sie nicht eine andere Stimme aufgehalten hätte.
»Wer ist da an der Tür, Ebba?«
Dahlgren schaute auf und sah das vertraute Gesicht neben der Magd auftauchen. Svante legte erschrocken eine Hand vor den Mund, als sie ihn erkannte und sah, in welch erbärmlichem Zustand er sich befand.
»Wohl einer dieser Trunkenbolde, der vergessen hat, in welchem Haus sich sein Bett befindet«, sagte die Magd. Ihre Stimme klang so verächtlich, als wolle sie auf ihn ausspucken.
»Meine Sonne«, krächzte Dahlgren und streckte flehend eine Hand nach Svante aus.
Das Mädchen wollte ihn mit dem Fuß zurückdrängen, damit sie die Tür schließen konnte, doch Svante zog sie zurück und schlug ihr mit der flachen Hand auf den Kopf.
»Untersteh dich, du dumme Gans!« schimpfte sie und drängte die Magd zur Seite. Svante kniete sich zu ihm und streichelte seine Wange. Dann wandte sie sich zu der Magd |246| um und winkte sie eilig heran. »Er ist ein Freund, Ebba. Hilf mir, ihn ins Haus zu schaffen.«
Es war Dahlgren kaum möglich, den Kopf zu bewegen, aber er neigte ihn immerhin so weit zur Seite, daß er aus den Augenwinkeln die Wunde betrachten konnte.
Er lag ausgestreckt auf der Bettstatt in Svantes Kammer. Sie und die Magd hatten ihm das Wams und sein Hemd ausgezogen, dann hatte Svante mit einem feuchten Tuch die Wunde gesäubert und die groben Stoffreste entfernt, die sich in den Durchschuß gebrannt hatten.
Das Geschoß hatte seine Schulter zertrümmert und einen gräßlichen Wust aus zersplitterten Knochen, zerfransten Hautfetzen und blutverklebtem Fleisch hinterlassen. Dahlgren glaubte nicht, daß sein linker Arm jemals wieder zu gebrauchen sein würde. Aber war das noch von Belang?
Svante betrat die Kammer. In ihrem Arm hielt sie ein Dutzend blühende Rosen, das sie in eine Vase steckte und auf den Fenstersims neben dem Bett stellte. Ein schwacher, aber angenehmer Blütenduft legte sich über den Geruch von Blut und Schweiß. Dahlgren dankte Svante diese
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