Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
verstärkt. Gevatter Tods fauligen Atem zu riechen hatte jeden auf seine Weise verändert. Jan war stiller geworden. Seine Augen leuchteten nicht mehr wie früher, und seinen Scherzen haftete zuweilen ein Hauch von Bitterkeit an. Albrecht dagegen schwankte zwischen der Lust, das Leben in vollen Zügen genießen zu wollen – wobei er dann zu Exzessen neigte und im Rausch oft nicht wiederzuerkennen war –, und in sich gekehrtem Grübeln. Genau in dieser Stimmung befand er sich gerade.
»Albrecht?«, sprach Jan seinen Freund an. »Der Herzog erwartet uns in der Neuen Veste.«
»Ist’s schon so spät?« Der Ritter hob den Blick zum Fenster. Hinter den Dächern der Stadt begann bereits eine fahle Sonne hinter grauen Wolkenschleiern zu versinken. Albrecht seufzte leise. »Ich komme. Lass mein Pferd schon mal vorführen.«
Als sie wenig später das Tor der Alten Veste hinter sich ließen und Jan der erdige Geruch des Rieds in die Nase stieg, wurde ihm wieder einmal bewusst, wofür er kämpfte: Jan hatte es in München vom ersten Augenblick an gefallen. Sicher, die Stadt war mit Prag nicht zu vergleichen, aber die Straßen waren sauber und das Volk seinem Herzog in rührender Anhänglichkeit ergeben. Obwohl seit einer gefühlten Ewigkeit Krieg herrschte, standen die Menschen immer noch hinter ihm. Und deshalb zog ein jeder den Hut vor seinem Sohn und beugte den Nacken, als er mit seinem Freund und Waffenbruder an der lindgrünen Isar entlangritt.
Nach einem kurzen Ritt überquerten die beiden den Wassergraben und erreichten den eindrucksvollen Hof der Neuen Veste. Stallburschen eilten herbei, um ihnen die Pferde abzunehmen. Albrecht bemühte sich um ein Lächeln und betrat das Schloss durch das mächtige Eichenportal. Ein Lakai nahm ihm den Mantel ab und reichte ihm eine Wasserschüssel, damit er sich den Staub der Straße von Gesicht und Händen waschen konnte. Dann ließ sich Albrecht dem Herzog melden. Zu seinem größten Erstaunen war es dann jedoch nicht sein Vater, der ihn erwartete, sondern seine Mutter Elisabetta Visconti.
»Mein lieber Albrecht«, begrüßte sie ihn herzlich. »Wie schön, dich zu sehen.« Er küsste sie artig auf die Wangen, nicht weniger erfreut als sie. Sie war in letzter Zeit ein wenig rundlich geworden und strahlte immer noch jene unerschütterliche Zuversicht aus, die er ebenso an ihr schätzte wie ihr zuweilen etwas überschwängliches italienisches Temperament.
»Setz dich, mio caro. Erzähl mir, wie geht es dir. Ganz blass siehst du aus und kummervoll.« Geduldig ließ er den üblichen Redeschwall über sich ergehen, denn er wusste, dass es stets ein wenig dauerte, bis sie zur Sache kam.
»Dein Vater lässt sich entschuldigen. Er kommt später, um dich zu treffen. Er bat mich jedoch, dir von einer Bitte des Hans Truchsess von Bischishausen zu berichten, der uns seine Tochter schickt. Das arme Ding ist wohl schwer krank und braucht dringend Erholung. Ihr Vater hofft, dass die gute bayrische Landluft zu ihrer Genesung beiträgt. Da wir dem Hause Württemberg, dessen höchster Beamter er ja ist, eng verbunden sind, entsprachen wir seiner Bitte, das Mädchen in einem unserer Landgüter unterzubringen. Der Herzog folgte meinem Vorschlag, sie und ihre Gesellschafterin in unserem Jagdschlösschen in Grünwald Quartier nehmen zu lassen.«
Augenblicklich war Albrecht hellwach. Aufgeregt rief er: »Margarethe? Margarethe wird kommen?«
Elisabetta lächelte und nickte.
»Endlich. Das ist wunderbar. Jetzt wird sich alles zum Guten wenden.« Mit leuchtenden Augen sprang er auf. »Das muss ich sofort Jan erzählen. Ihr entschuldigt mich doch, oder?«
Sie winkte ihm lächelnd zu. »Geh nur, und lass in Grünwald alles für die beiden Damen vorbereiten. Es soll ihnen an nichts fehlen.«
Der Fluss führte Niedrigwasser, als die Kutsche in die Furt einfuhr. Doch das lindgrüne Nass spritzte trotzdem von den großen, eisenbeschlagenen Rädern der Kutsche bis ins Innere. Gelassen wischte Margarethe die Tropfen von ihrem linnernen Reisekleid. Die strapaziöse Reise von Stuttgart nach München hatte auf ihrer Kleidung bereits zuvor ihre Spuren hinterlassen. Sie waren viel langsamer vorangekommen als geplant, da Margot unterwegs einen Rückschlag erlitten und starkes Fieber bekommen hatte. Ein weiteres Mal hatte Margarethe befürchtet, das Mädchen zu verlieren. Eine alte Kräuterfrau hatte schließlich seine Pflege übernommen und es gerettet. Doch dadurch war es zu einem längeren Aufenthalt
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