Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Heu. Hastig sahen sich die jungen Leute um. Sie waren allein. Die Stallburschen hatten sich bereits zum Nachtmahl in der Küche versammelt. Die einzigen Geräusche waren das gleichmäßige Malmen der fressenden Pferde und ein gelegentliches Schnauben. Albrecht zögerte erst, doch dann wurde der Wunsch, noch einmal Margarethes Nähe zu spüren, übermächtig. Er legte seinen Arm um sie, wie er es schon oft getan hatte, und doch war es dieses Mal ganz anders. Ihr Duft schien ihn zu berauschen, und er fühlte, wie er sie begehrte.
Erschrocken ließ er von ihr ab. Das durfte er nicht. Das ging zu weit. Margarethe sah ihn sehnsuchtsvoll an. Doch Albrecht blickte zu Boden und biss sich auf die Lippen. Das Bild seiner Tante zog vor seinem geistigen Auge auf und wie sie die Stirn in Falten legte. In diesem Moment hätte Albrecht aufheulen mögen. Das Wissen, Margarethe niemals besitzen zu können, war wie ein bohrender Schmerz, der sich in sein Herz grub.
Vorsichtig streckte sie die Hand nach ihm aus. »Albrecht«, flüsterte sie, »was ist mit dir?«
Gequält sah er sie an. Liebevoll strichen seine Fingerspitzen über die Kratzer an ihrer Wange. Sie ließ sich gegen ihn sinken, und mit einem Mal waren alle Bedenken wie weggewischt. Wie von selbst fanden sich ihre Lippen. Ihre Körper schmiegten sich aneinander, und ihr Atem ging schneller. Gierig nahm er ihre Süße in sich auf, um sie im nächsten Augenblick erneut von sich zu stoßen. Verletzt kehrte sie ihm den Rücken zu.
»Versprich mir, dich von Weida fernzuhalten«, drängte der Herzogssohn. »Lächle und schweige – wenigstens so lange, bis ich meine Möglichkeiten ausgeschöpft habe.«
Zögerlich nickte die Rothaarige. Unvermittelt liefen ihr Tränen über das Gesicht, und er hatte keine Ahnung, warum. Eigentlich sollte sie doch glücklich sein, jetzt, da sie wusste, wie lieb er sie hatte. Ohne ihn noch einmal anzusehen, drehte sie sich um und stürmte hinaus. Der Wittelsbacher blickte ihr nach. Seine Tante hatte recht: Er war eifersüchtig. Er wollte Margarethe für sich, und es war ihm egal, was sein Vater dazu sagen würde. Er würde mit ihr als seiner Herzogin regieren oder gar nicht.
Heinrich von Weida beobachtete, wie Margarethe weinend und mit zerkratztem Gesicht aus dem Pferdestall rannte. Er hatte die Rückkehr der jungen Leute vom Turm aus beobachtet und beschlossen, sich Klarheit über die Gerüchte zu verschaffen, die um Margarethe, Jan Sedlic und den Wittelsbacher kursierten. Aus seinem Versteck hatte er gesehen, wie der Wittelsbacher Margarethe in den Pferdestall gelockt hatte, statt zum Königspalast zurückzureiten. Mit glühenden Ohren und wütendem Herzen musste Weida warten, bis das Mädchen nach einer gefühlten Ewigkeit vollkommen verstört aus dem Gebäude stürzte. Tränen rannen Margarethe über das zerkratzte Gesicht. Ihr Kleid war zerrissen! Sofort stieg brennender Hass in dem Vogt auf, und ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Der Bayer hat sie sich genommen! Und sie war naiv genug gewesen, sich von ihm locken zu lassen.
Weida packte den Griff seines Schwertes, ließ ihn dann jedoch wieder los. Der Mistkerl war ein Wittelsbacher Erbprinz, Sohn eines Herzogs, Neffe der Königin. Weida stöhnte auf. Warum? Warum musste dieser Hurenbock ausgerechnet seine Braut begehren? Jeden anderen hätte der Vogt auf der Stelle gefordert, doch beim Wittelsbacher waren ihm die Hände gebunden. Wenn er jetzt hinausstürmte wie ein wütender Stier und dem bayrischen Rotzlöffel gab, was er verdiente, verdarb er womöglich die zugesagte Hochzeit. Gleichzeitig musste der Adelsherr doch einsehen, wie wichtig es dem Vogt war, dass Margarethe sein Kind gebären musste. Dann aber fiel dem Vogt ein, wie oft er sich die Gattinnen anderer ins Bett geholt hatte, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass er damit möglicherweise den Ehemännern ein Kuckucksei unterschob. Nein, wenn er einen Erben eigenen Blutes haben wollte, dann musste er schon selbst dafür Sorge tragen. Und die Zeit drängte ganz offenbar.
K APITEL 6
Margot trippelte aufgeregt den Gang entlang und hielt ein Schreiben ihres Vaters fest an die Brust gedrückt. Sie hatte sich so sehr nach einer Nachricht von zu Hause gesehnt, denn obwohl sie bereits einen ganzen Sommer und einen langen Winter am Hof der Königin Sophie lebte, plagte sie immer noch Heimweh. Vor allem ihren Vater vermisste sie, diesen gütigen Menschen, der nie ein böses Wort an sie gerichtet und ihr stets jeden Wunsch von den
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