Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Augen abgelesen hatte. In der ersten Zeit hatte er ihr oft geschrieben und sie getröstet, über den Winter jedoch waren die Briefe selten geworden. Umso größer war die Freude gewesen, als sie das Papier in den Händen des Burgkaplans gesehen hatte. Doch als er es ihr mit ernster Miene vorlas, war ihr Hochgefühl nach den ersten Zeilen rasch Besorgnis gewichen. Obwohl ihr Vater es lediglich mit einem Satz erwähnte, so hieß es darin doch, dass es Margots Mutter nicht gut ginge. Sie wurde seit dem Christfest von einem quälenden Husten geplagt, der sie sehr schwächte. Erschrocken hatte sich Margot vom Kaplan verabschiedet, um den Brief noch einmal in Ruhe mit Margarethe durchzugehen, die ausgezeichnet lesen und schreiben konnte.
Margot bog um die Ecke und stieß mit Sepi zusammen. Der Junge machte erschrocken einen Satz zu Seite, verbeugte sich dann jedoch artig, was irgendwie gar nicht zu ihm passte.
»Verzeihung, Jungfer Margot, meine Schuld«, murmelte er.
Margot schaute ihn verwirrt an. Sie war immer noch vollkommen durcheinander von dem Brief, aber auch Sepis Verhalten verwirrte sie. War das nicht der Lümmel, der Margarethe solche Probleme bereitete? Dabei sah er doch eigentlich ganz nett aus. Ihr fiel auf, dass sie noch immer nichts gesagt hatte, während Sepi sie unverwandt anstarrte.
»Nicht weniger als meine«, antwortete Margot und wollte sich an ihm vorbeidrängen, doch er verstellte ihr den Weg.
»Fräulein Margot, ich ähm …«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. Was wollte der Bursche denn noch? Er bückte sich und hob etwas auf. »Ihr, Ihr habt Eure Spange verloren.« Unsicher drehte er das kleine Schmuckstück aus Messing in den Händen. »Ich fürchte, sie ist kaputt.«
»Oh ja.« Margot machte ein trauriges Gesicht.
»Wenn Ihr wollt, könnte ich sie vom Schmied reparieren lassen.«
»Das wäre nett.«
Sepi errötete leicht, was Margot noch mehr verwirrte.
»Jetzt muss ich aber weiter«, stellte sie fest.
»Ähm, ja natürlich.« Der Bub trat zur Seite, damit sie passieren konnte. Margot huschte an ihm vorbei.
»Gehabt Euch wohl, Fräulein Margot!«, rief er ihr hinterher.
Im nächsten Moment war das Mädchen bereits in jenen langen Gang verschwunden, von dem rechts und links die Kammern der Zöglinge abgingen. Sechs gab es insgesamt, eine war derzeit nicht besetzt. Katerinas Tür stand eine Handbreit offen. Die hohe Stimme der Hofdame und die brummige eines Ritters drangen heraus. Man sprach böhmisch, und das sehr schnell. Margot als Württembergerin tat sich oft schon mit dem Hochdeutschen schwer. Auch Böhmisch hatte sie im letzten Jahr lernen müssen. Bis heute verstand sie oft nur die Hälfte von dem, was gesprochen wurde, doch als Margarethes Name fiel, wurde sie neugierig und blieb stehen. Natürlich wusste sie, dass man nicht lauschen durfte, aber wenn Katerina über Margarethe sprach, musste sie einfach wissen, was vor sich ging. Hastig sah sich Margot um. Sie war allein, und wenn jemand käme, würde sie einfach weitergehen. Schließlich wohnte sie hier. Dann brachte das Mädchen sein Ohr dicht an den Spalt.
»In der einen Angelegenheit werde ich Euch wohl behilflich sein, aber wenn Ihr dem Wittelsbacher an den Karren fahren wollt, müsst Ihr das allein tun«, sagte Katerina gerade.
»Ich erwarte keine Hilfe, nur einen Rat«, erwiderte der Ritter. »Ihr kennt ihn doch viel besser als ich. Gibt es vielleicht etwas, was seinem Ansehen abträglich sein könnte?«
»Der Albrecht ist der Liebling der Königin.«
»Und damit kann er tun und lassen, was er will?« Die Stimme des Ritters nahm einen bitteren Unterton an.
Einen Moment herrschte Schweigen, und Margot wollte schon weitergehen, als die Wettinerin leise fortfuhr: »Er wohl schon, aber nicht seine Freunde.«
»Ich versteh nicht ganz?«
»Mein Vater pflegt in so einem Fall zu sagen: Tritt den Esel, das schmerzt den Knecht.«
»Ihr meint diesen Blonden?«
»Jan Sedlic. Ein Hussit ist er.«
»Gibt es Beweise dafür?«
»Man hat ihn bei der Predigt gesehen.«
»Ist’s ein verlässlicher Zeuge?«
»Mein Bruder.«
»Den Sedlic anzuklagen braucht’s mehr als die Worte eines Kindes, wie edel dessen Blut auch sein mag.«
»Ich kann Euch nicht alles in mundgerechten Häppchen servieren. Ihr müsst schon auch selbst etwas tun.«
Schritte kratzten über die Holzdielen. Margot erschrak. Was, wenn man sie jetzt erwischte. Katerina würde bestimmt sehr ärgerlich werden und der Ritter erst recht. Hastig huschte sie
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