Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Blick ging zu dem Felsen über ihm. Von hier aus war es kein Kunststück mehr, zum Nest zu gelangen. Den Felsen zu erklimmen würde nicht das Problem sein. Wie aber sollte er den Altvogel beruhigen? Die Armbrust hatte er unten gelassen. Mehr als ein Messer war nicht an seinem Gürtel.
Der Falke hatte inzwischen gedreht. Seine Klauen weit ausgestreckt, kam er wieder auf Margarethes roten Schopf zu. Das Junge kreischte empört und wehrte sich unter dem Tuch. Entschlossen knotete die junge Frau das Tuch zusammen und schlang es sich wie ein Bündel um die Schultern. In diesem Moment hatte der Falke Margarethe erreicht. Schmerzhaft fühlte sie seine messerscharfen Krallen im Nacken, während der wütende Vogel zugleich mit Schnabelhieben ihren Kopf traktierte. Jeder andere hätte womöglich nach dem Altvogel geschlagen und dabei das Gleichgewicht verloren, nicht so Margarethe. Sie drehte sich lediglich und versuchte so, den Vogel gegen die Wand zu drängen. Der attackierte sie weiter mit wüstem Geschrei. Endlich schien es der jungen Frau zu gelingen, den Angreifer loszuwerden. Einen Moment lang sah es so aus, als würde der Greif leblos in die Tiefe stürzen. Schließlich fing sich der Vogel und gewann wieder an Höhe. Suchend sah sich Margarethe um, während sie das Tuch mit dem Jungvogel kontrollierte. Dieser hatte inzwischen seinen Widerstand aufgegeben, wie es alle Vögel tun, wenn sie eine Weile im Dunkeln sitzen.
»Vorsicht!«, rief Albrecht und kletterte höher. Er hatte Margarethe beinahe erreicht, als nun auch der zweite Altvogel von der Jagd zurückkehrte. Den Freunden war bewusst, dass sie nun rasch aus der Wand kommen mussten, wenn ihr Abenteuer kein böses Ende nehmen sollte.
»In die Nische!«, riet Albrecht. Er griff nach dem nächsten Felsvorsprung und zog sich das letzte Stück nach oben. Endlich war er auf gleicher Höhe wie Margarethe.
Sie verstand. Hastig ließ sie sich vom Nest herab in die Nische gleiten. Erneut schoss ein Altvogel an ihr vorbei.
»Zu mir herüber! Schnell, schnell!«
Der Herzogssohn griff nach dem Jagdmesser an seinem Gürtel und nahm es zwischen die Zähne. So würde er Margarethe die Hand reichen können. Sie nickte ihm kurz zu und griff nach seinen Fingern.
»Nach oben!«, sagte er nur, als sie endlich neben ihm stand. »Wir müssen aus der Wand raus.«
Ein weiteres Mal vernahmen sie die Schreie der angreifenden Falken. Haarscharf flogen die Vögel an ihren Köpfen vorbei und versuchten, sie mit ihren Klauen zu attackieren. So dicht es ging, drückten sich die beiden an den Felsen, als die Vögel an ihnen vorbeischossen. Albrecht stieg voran. In seinem Kopf gab es nur einen Gedanken: Durchhalten! Immer wieder von den wütenden Elterntieren bedrängt, kamen die beiden nur langsam voran. Albrechts Beine begannen zu zittern, und seine Arme wollten ihm nicht mehr gehorchen. Es fühlte sich an, als wären sie mit Blei gefüllt. Unter sich hörte er Margarethe schwer atmen. Die Furcht, sie könnte abstürzen, trieb ihn weiter. Nach einer halben Ewigkeit zog er sich über die Kante der Klippe, rollte ein Stück von ihr weg und reichte dann Margarethe die Hand, um auch sie in Sicherheit zu bringen.
Über die Stirn der jungen Waldeckerin lief Blut, ihre roten Haare klebten im Nacken. Unwillkürlich schloss Albrecht sie in die Arme, und schon schmiegten sich ihre Lippen aneinander. Eng umschlungen standen die beiden jungen Leute da, als müssten sie sich noch immer gegenseitig Schutz geben. Für eine kurze Weile lagen sie sich erleichtert in den Armen, doch dann stellte sich eine leichte Verlegenheit ein, und sie lösten sich voneinander.
Albrecht musterte sie liebevoll. »Du machst es einem Ritter wahrhaft nicht leicht, dich zu beschützen, Margarethe«, meinte er.
Ohne auf seinen scherzenden Ton einzugehen, sah sie ihm tief in die Augen. »Ich kann den Weida nicht heiraten«, flüsterte sie, »weil ich dich liebe.«
Behutsam strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Liebste, du bist mir das Wertvollste auf der Welt. Ich hab solche Angst, dich zu verlieren. Was sollen wir nur tun?«
Noch einmal sank sie gegen seine Brust, und erneut fanden sich ihre Lippen. Dann trieb sie das Geräusch von hastigen Schritten auseinander.
»Dem Himmel sei Dank, ihr seid wohlauf!«, rief Jan erleichtert. Margarethe fühlte sich auf einmal schwach, ihre Knie zitterten, und sie ließ sich zu Boden sinken. Auch Albrecht schien einen Halt zu brauchen. Er setzte sich neben sie und griff
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