Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Jungfalke machte einen langen Hals und pickte vorsichtig an dem Fleischstück. Margarethe verharrte regungslos. Gebannt beobachtete sie den Vogel, der irritiert zu ihnen herüberblickte und das Futter fallen ließ.
»Er fürchtet sich vor unseren Augen«, flüsterte die junge Frau. Meister Karl nickte. Langsam drehte sich Margarethe wieder um und blinzelte lediglich vorsichtig über die Schulter. Tatsächlich wendete sich der Falke erneut dem Futter zu. Diesmal pickte er entschlossen nach dem Fleischstück und hob es hoch. Der junge Falke machte eine schlenkernde Kopfbewegung, während er noch einmal zu den Menschen herüberäugte. Im nächsten Moment war der Happen verschwunden.
»Donnerschlag!«, entfuhr es dem Falkner. »Das hat die Welt noch nicht gesehen: ein Falke, der sich von einem Weib zähmen lässt!«
Margarethe konnte es selbst kaum glauben. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. Wenn mich Albrecht doch jetzt sehen könnte!, dachte sie und fragte euphorisch: »Soll ich’s noch mal versuchen?«
»Ich bitte darum, sonst müsste ich glauben, dass mir der Zufall einen bösen Streich gespielt hat.«
Erneut legte Margarethe dem Jungvogel Futter vor, entfernte sich und senkte den Blick. Wieder hatte sie Erfolg.
Meister Karl kratzte sich am fast kahlen Schädel. »Sieht so aus, als habt Ihr einen Falken am Hals«, brummte er. In seiner Stimme klang Überraschung und Anerkennung. Und dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. »Ich gebe zu, Margarethe von Waldeck, Ihr habt ein Händchen für den verstockten Vogel. Bei mir fraß er nur unter Zwang.«
»Soll das heißen, er hat noch nie zuvor allein gefressen?«
Der Falkner zuckte mit den Schultern und sah aus wie ein ertappter Lausbub.
»Ihr seid mir ein rechter Schelm, Meister Karl. Ich hoffe, Ihr wisst, dass Ihr mich nun in die Kunst der Beizjagd einweihen müsst.«
Erneut kratzte sich der alte Mann am Schädel. »Ich habe mein Wort gegeben«, brummte er, »aber Ihr werdet schnell die Lust daran verlieren. Junge Hofdamen sind meist recht wankelmütig.«
Margarethe machte ein strenges Gesicht. »Eine Waldeckerin nicht, und ich gedenke, die beste Falknerin zu werden, die Ihr jemals ausgebildet habt.«
Der Falkner schielte sie von der Seite her an und meinte: »Das wird nicht schwer.«
Erstaunt hob Margarethe die Augenbrauen: »Haltet Ihr mich etwa für talentiert?«
Der Alte blinzelte belustigt. »Da ich bisher noch nie eine Frau als Schülerin angenommen habe und auch nicht gedenke, es noch einmal zu tun, ist Euch dieser Ruf schon jetzt gewiss. Doch hört auf herumzutrödeln, und füttert diesen Vogel zu Ende, bevor ich’s mir anders überlege und Euch doch noch nach Hause schicke.«
Lachend schüttelte die junge Frau ihre rote Mähne. Meister Karl sollte sich wundern.
Unruhig kehrte Jan vom Badhaus zum Stadtschloss zurück und klopfte an Albrechts Tür.
Der Wittelsbacher lebte nicht in den Gemeinschaftsräumen bei den anderen Rittern, sondern bewohnte eigene Räume. Lang ausgestreckt lag er auf seinem Bett und ruhte sich von den anstrengenden Übungen aus, die der Waffenmeister am Morgen hatte exerzieren lassen. »Na, wie war’s?«, erkundigte sich Albrecht und gähnte herzhaft. »Hast du etwas Neues erfahren?«
Jan schluckte schwer. Den ganzen Weg über hatten Weidas Worte an ihm genagt. Es war schlimm genug, dass der Vogt hinter Margarethe her war, aber wenigstens liebte sie ihn nicht. Trotzdem hatte Jan den alten Mann dafür gehasst, dass er für Margarethe als Ehemann ausgesucht worden war. Weida konnte alles vorweisen, was ein Ritter einer Frau bieten sollte: eine Burg, ein gutes Einkommen, gute Beziehungen zum Königshaus. Früher hatte es Jan nichts ausgemacht zu wissen, dass er auf seinen eigenen Beinen würde stehen müssen. Erst durch seine Liebe zu Margarethe schmerzte ihn das Lehen, das sein Vater verspielt hatte. Jan wusste, dass er jung genug war, sich irgendwann ein neues zu erstreiten. Aber das brauchte seine Zeit. Zeit, die ihm nicht blieb, weil Margarethe einen anderen heiraten sollte, und noch dazu einen Mann, der ihr zuwider war.
Nun aber stellte sich auch noch Albrecht zwischen ihn und Margarethe. Sein bester Freund war Sohn eines Herzogs und zweifellos der Mann ihrer Träume. Doch auch Albrecht würde sie nicht heiraten können. Jedermann wusste, dass dessen Vater, der alte Herzog Ernst, nur eine Schwiegertochter aus dem Adelsgeschlecht der Wittelsbacher akzeptieren würde, und eine war schon lange Zeit im
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