Die Fallen von Ibex
Leben.” Sie spürte die Freude und den Stolz in seinem Lachen, genoß für einen Moment die eigene Erleichterung, schaute dann wehmütig auf den hochgewachsenen, schlanken Körper hinab, der nach wie vor lediglich mit der durchscheinenden - jetzt durchsichtigen - Unterwäsche bekleidet war. Schlank, aber zu schwer für sie; nicht einmal zusammen mit Linfyar würde sie Aleytys wieder auf den Gyr-Rücken hinaufbekommen. Sie wälzte sie herum, wischte die durchnäßten roten Haare aus ihrem Gesicht.
Das Gesicht war schlaff geworden, der Mund hing offen; die Haut hatte ihren samtigen Goldschimmer verloren und eine kreidige Blässe angenommen, die selbst in dieser Düsternis zu sehen war und ihr Angst einjagte.
Sie blickte sich um. Wakille saß noch immer da und beobachtete nur, sein Gesicht ein Schemen in der Dunkelheit; ab und zu das Schimmern der Augäpfel. „Worauf wartest du noch, verdammt?
Komm her und hilf uns, Händler!”
Er rührte sich nicht - eine Ewigkeit lang nicht, jedenfalls nach Shadiths Empfinden; dann schwang er sich steif aus dem Sattel, planschte durch das zurückweichende Wasser heran und blieb hinter ihr stehen. „Ist sie tot?”
„Idiot! Würde ich mir die Mühe machen, wenn sie tot wäre?”
Die Erleichterung darüber, daß Aleytys nicht tot war, machte Shadiths Stimme lauter und gröber, als sie beabsichtigt hatte. „Hilf uns, sie auf dieses Gyr ‘raufzubringen. Quer über den Sattel.
Anders wird es nicht gehen. Los, mach endlich!”
„Ihr nehmt die Beine, und mir laßt ihr Kopf und Schultern”, sagte er liebenswert genug.
Gemeinsam stemmten sie die schlafffe, schwerfällige Last hoch und über das Sattelpolster. Shadith runzelte die Stirn. Aleytys bot einen schrecklichen Anblick, wie sie da hing… Es konnte nicht gut sein für sie. Und als Wakille dann auch noch mit einem Strick kam, um ihre Hände und Füße festzubinden, lehnte sie dies vehement ab. Er zuckte nur mit den Schultern und ging zu seinem Gyr zurück. Mit einigen Schwierigkeiten saß er auf - sie alle waren fast am Ende ihrer Kräfte - und sah wieder zu ihr hin; seine ganze Körperhaltung signalisierte Ablehnung- Ablehnung, auch nur die geringste Verantwortung für diese Expedition zu übernehmen.
Signalisierte: Wenn ich im Moment nicht zu müde wäre, würde ich euch alle eurem höchstwahrscheinlich ziemlich elenden Schicksal überlassen. Shadith funkelte seinen Rücken an und beruhigte sich dann wieder. Du redest dir das nur ein, sagte sie sich.
Linfyar stand fröstelnd neben ihr; die Feuchtigkeit verfilzte sein weiches Fell. „Kannst du allein reiten, Linfy, oder willst du zu mir hochkommen?”
Zögernd streckte der Junge seine Hand aus. Die dünnen, zitternden Finger waren heiß und zerbrechlich in Shadiths Handfläche. Sie berührte sein Gesicht. Fieber, dachte sie, die Probleme hören nicht auf. Großartig. Sie nahm es den äußeren Einflüssen sehr übel, daß sie gezwungen war, die ganze Verantwortung zu tragen; sie nahm es Aleytys übel, daß sie bewußtlos war - ausgerechnet jetzt, wo sie so nötig gebraucht wurde-, und sie nahm es Wakille übel, daß er Probleme verursachte, anstatt ihr bei der Lösung der anderen Probleme behilflich zu sein. Mit einem verhaltenen Fluch schwang sie Linfyar in den Sattel ihres Gyrs und zog sich hinter ihm hinauf. Sie sah, daß Wakille sie anstarrte; sein Gesicht ein fahles Rund in der Dunkelheit. Das Summen der Insekten war übergangslos laut und beständig, ganze Wolken kreisten um die Gyori und die Reiter, ließen sich in jeder Körperöffnung nieder, krabbelten auf jeder verfügbaren Oberfläche. Das alles war fast zuviel für sie. Doch es war niemand anders da, also knirschte sie mit den Zähnen, richtete sich im Sattel auf und blickte sich um. Die Staubwolke der fernen Eruption schwächte und rötete das Sternenlicht; der Mond war noch nicht aufgegangen. Das Licht war denkbar trügerisch. Noch immer zog sich das Wasser zurück und versickerte schäumend zwischen den Geländerspalten. Schlangen, dachte sie. Bestimmt gibt es hier Schlangen. Gott weiß, was sonst noch alles hier herumkriecht.
„Wakille.”
Er antwortete nicht. Sie spürte, wie er ihr Widerstand leistete, wie er es ihr jetzt heimzahlte, daß sie ihm auf der Insel sooft klargemacht hatte, er solle seine Finger gefälligst bei sich behalten; damals, als er sie beim Baden überrascht hatte … als sie ihn hatte anflehen müssen, sie loszulassen… Und Strafe auch dafür, daß sie die Geduld verloren
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