Die Fallen von Ibex
zu, reitet weiter, Dummköpfe, wartet nicht auf mich. Sie winkte ihnen noch einmal, legte mehr Kraft und Dringlichkeit in die ausladende Armbewegung, zügelte ihr Gyr aus dem Galopp in einen holperigen Trab, winkte wieder und spürte eine vage Erleichterung, als Wakille und Linfyar an ihr vorbeikamen, das Packtier dicht hinter ihnen. Shadith aber verlangsamte ebenfalls, drängte ihr Gyr zu Aleytys heran, und ihre Lippen formten langsame Worte - Warum? Was machst du?
Aleytys beugte sich vor, strich mit einer Hand über die zitternde Vorderschulter ihres erschöpften Gyrs, richtete sich wieder auf und formte ihrerseits einige Worte für Shadith. - Es wird müde.
Sie sprach es langsam, bedächtig aus, und sie sah, daß Shadith verstand. - Ich versuche, das in Ordnung zu bringen. Reite weiter!
-
Shadith starrte sie noch immer an, schüttelte dann den Kopf; Verzweiflung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. - Geh! -
Aleytys stieß eine Hand nachdrücklich in Richtung der anderen Reiter. Shadith schüttelte wieder den Kopf… aber schließlich gab sie ihrem Gyr doch die Zügel frei und setzte den anderen nach.
Aleytys schaute zurück. Der dunkle Strich war dicker geworden
- und drohender. Sie trieb das stöhnende Tier zu einer schnelleren Gangart an, griff in ihren dunklen Strom und flößte ihm dessen Energien ein, spülte die Gifte der Erschöpfung aus ihm hinaus, ersetzte seine verbrauchte Kraft behutsam, da sie wußte, daß es katastrophale Folgen haben konnte, wenn sie ihren Zufluß nicht ausgeglichen dosierte. Sie konzentrierte ihren ganzen Willen auf dieses Tun, fand den richtigen Rhythmus für die Einspeisung und entspannte sich ein wenig; dann konnte sie nicht anders: Sie mußte über die Schulter zurücksehen. Der Strich war ungeheuerlich angewachsen und dunkel, und er wurde immer noch höher und kam immer noch schneller heran. Jetzt konnte sie sehen, wie er sich bewegte, wie er gleich einem gewaltig großen und breiten Rammbock kam, von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. „Ay-Madar!” stöhnte sie, riß den Blick von der Flutwelle los, drehte sich wieder um und sah nach vorn, den Damm entlang.
Ihre Gefährten waren dunkle, verschwommene Gestalten in der Düsternis des Sonnenuntergangs. Kurz glaubte sie Shadiths Blick auf sich zu spüren. Für den Fall, daß sie tatsächlich zu ihr zurücksah, winkte sie ihr. Aber vielleicht starrte Shadith auch auf die Welle.
Weiter. Immer weiter. Alptraum. Die Sonne versank hinter den Horizont, und sie waren gezwungen, langsamer zu werden. Die Finsternis machte die Dammstraße trügerisch; es gab große Löcher und Risse in dem Pflastersteinbelag, glitschige Moosflecken erstreckten sich wie gierige Finger darüber, und hier und da wucherten sogar stachelige Beerenranken und Gewächse mit rasiermesserscharfen Schalen. Alptraum. Eine Flucht im Schrittempo -Sandpapier für die Nerven. Immer weiter. Manche Stellen waren vom Sternenschein erhellt; zu wenige. Aber sie trieb das Gyr jedesmal an, ließ es diese wenigen Meter, auf denen alle Fallen deutlich zu sehen waren, im Galopp zurücklegen, und gleich darauf wieder langsamer werden, sobald der helle Schein versiegt war. Sie trieb ihr Tier durch dichte Brombeergestrüppe, weiter, immer weiter, bis die ganze Welt zu beben schien, und bis das Lärmen und Toben so ungeheuerlich war, Tausende von Hammerschlägen, die allesamt auf sie herunterprasselten, ein so allgegenwärtiges Lärmen, daß es sie umgab wie Luft und genauso an ihr riß und zerrte. Sie gab dem Gyr den Zügel frei, ließ es sich selbst den Weg suchen und schaute zurück.
Die große Wand war durchbrochen, ausgefüllt mit glasigen, grüngrauen Zwischenräumen, angefüllt mit Schaumadern; am Land zerborsten, zerborsten in gigantische, felsbrockengroß Stücke, und doch ungebrochen; sie kam näher, kam immer näher, mit einer tollwütig rasenden Gewalt, unaufhaltsam und schrecklich. Ihre Flucht war aussichtslos, keine Möglichkeit, wie sie dem Monstrum entkommen konnten, aber sie alle ritten weiter, denn mit jedem neuen Meter gewannen sie einen weiteren Meter Hoffnung.
Immer weiter, in Lärm ertrinkend, die Gyori vor Erschöpfung und wegen des unsicheren Bodens kurz davor zusammenzubrechen … Und dann war ihnen das Wasser dicht auf den Fersen; die Flutwelle kam, war dicht davor, über sie hereinzubrechen …
Und Harskari war da, und das Diadem verstrahlte einen grauenhaften Summton, Anzeichen dafür, was Harskari ihm abverlangte, aber wie auch immer -
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