Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
Stiefelspitze, hob ihn auf und begutachtete ihn. Ordentliche Arbeit, erkannte sie. Vorausgesetzt, er war von diesem schrecklichen Wesen gemacht worden. Mann oder Frau?
    Sie konnte es noch immer nicht sagen und fühlte, wie die Übelkeit bei diesem Gedanken zurückkam. Sie ging zu den Überresten einer Hausmauer hinüber, legte den Bogen ab, blickte sich wieder um.
    Das schimmern der Sterne und das Licht des Mondes ließen den fahlen Staub und die hellen Ziegel leuchten, und diese Vielzahl an lebloser Blässe sorgte nur zu schnell dafür, daß sich Aleytys wie in einem surrealistischen Traum gefangen vorkam. Ruinen, ja, aber nicht nur: hier lebten auch die Geister der Ruinen. Und Schattenkreaturen, Zerrbilder des Menschen, sie waren nicht unbedingt Gespenster, sondern böse zugerichtete Überbleibsel der einstigen Vorfahren. Sie schauderte wieder.
    Shadith war nervös. Aleytys spürte ihre Präsenz als grausames Jucken tief in ihren Gedanken. „Mir gefällt dieser Ort nicht. Laß uns von hier verschwinden. Was, wenn dieses Ding zurückkommt und ein paar Freunde mitbringt?”
    Aleytys empfand eine jähe Woge von Traurigkeit. „Ich glaube nicht, daß es Freunde hat.”
    „Was macht das für einen Unterschied?” Shadith blinzelte ihr aufmunternd zu. „Du hast Esgards Zeichen gefunden, und das ist alles, was du wolltest. Gehen wir.”
    Aleytys nickte, obgleich sie wußte, daß Shadith das nicht sehen konnte. Es war beruhigend, mit dem Körper zu sprechen; wie auch immer - Shadith konnte fühlen, was sie nicht sah. Harskari hatte sich ihrerseits in jene Abgeschiedenheit zurückgezogen, die sie bereits seit Wochen vorzog, ein privater Platz tief in ihrem Unterbewußtsein. Sie stand weder für einen Kommentar noch für eine Unterhaltung zur Verfügung. Aleytys nahm das Bündel wieder auf, rückte es zurecht und verließ die Ruinenstadt durch den Mauerspalt. In dieser Nacht schlug sie ihr Lager am Bach auf. Hier konnte sie sich wenigstens einigermaßen sicher fühlen.
    3
    Der erste Tag war gekennzeichnet mit Zaghaftigkeit, Erregung, Ungeduld, Furcht, Verwirrung - am allermeisten mit Verwirrung.
    Der zweite Tag begann mit Schmerzen und steifen Gliedern und mit Depressionen und endete in müder Euphorie.
    Sie folgte der Straße, bis ihre Füße schmerzten, und wechselte schließlich auf das narbige Grasland neben der Straße. Niemand begegnete ihr; niemand war weit und breit zu sehen. Hin und wieder flatterten ein paar Vögel auf oder huschten erschreckte Nagetiere davon. Doch es gab nichts, das in die langweilige Gleichförmigkeit der Landschaft einbrach. Die Straße stieß unveränderlich nach Westen vor, ohne daß auch nur eine einzige Erdverwerfung die gerade dunkle Linie beeinträchtigt hätte. Bei Sonnenuntergang erreichte sie eine der auf der Karte verzeichneten Quellen und war selbst überrascht, daß sie eine weit größere Strecke zurückgelegt hatte, als sie für möglich gehalten hätte.
    Beinahe hätte sie die Baumgruppe zu ihrer Rechten übersehen: allein die Astspitzen waren über den Wölbungen der Hügel zu sehen, dunkelgrüne Kuppen, nahezu schwarz im karmesinroten Glanz der untergehenden Sonne. Ein Vogelschwarm brauste über sie hinweg, laut und zwitschernd, mit heftigem Flügelschlagen, und riß sie aus der tranceartigen Erschöpfung, in der sie dahintrottete. Die Vögel ließen sich in den Bäumen nieder, und sie starrte zu ihnen hinüber, zu jähem Bewußtsein erweckt; sie merkte, wie hungrig sie war - hungrig genug, um mindestens ein Dutzend von ihnen verspeisen zu können.
    Später briet sie die erlegten Tiere über dem Feuerloch, röstete Brot dazu und setzte einen Topf mit Cha auf; dann breitete sie die Karte aus und fand das nächste Gewässer. „Morgen mittag…”, murmelte sie und prägte sich die Route ein. Immerhin bemerkenswert war, daß eine andere der alten Straßen jene kreuzte, der sie momentan folgte. Daraufhin faltete sie die Karte zusammen und steckte sie wieder weg. Sie legte den Gürtel ab, drapierte ihn neben sich auf der Unterlegplane, streckte sich, gähnte und sah sich träge in der kleinen Senke um. Das Feuer malte Blätter und Zweige über ihr mit hell- und dunkelroten Farben nach und veränderte sie. Hell und Dunkel wechselten mit den Atemzügen des Windes, der au
    ßerhalb der Senke umherschlich. Jenseits der Blätterwände breitete das Mondlicht eine Eisdecke über die sprudelnde Quelle. Dunkle Nachtschwärmer von der Größe ihrer Faust stießen in ihren unsicheren

Weitere Kostenlose Bücher