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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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war Narr genug, allein hierher zu kommen. Sie verlangsamte, starrte nervös zu dem Falken hinauf. Er schwebte. Schwebte über dem Geistreiter und dessen Truppe - wenn es da wirklich eine Truppe gab -, und er arbeitete sich langsam nach Südosten vor, schräg zu ihr. Nicht weit hinter jener Baumgruppe würde er ihren Weg kreuzen. Es war grob geschätzt, vielleicht täuschte sie sich, aber allein diese Aussicht beunruhigte sie. Sie wollte dem Geistreiter nirgendwo nahe kommen. Irgendwann änderte sie ihre Marschrichtung und machte sich auf den Weg zur Straße zurück, doch sie konnte die spähenden Flüge des Vogels nicht vergessen. Irgend etwas näherte sich von Norden her. Irgend etwas. Und je mehr sie an die vor ihr liegenden Schwierigkeiten dachte, desto verlockender kamen ihr die hohen Bäume vor.
    Eine Stunde später hatte sie eine weitere Bodenerhebung erstiegen. Der Boden veränderte sich, wurde morastig. Eine weitere Senke, eine weitere Erhebung. Dann konnte sie über eine bizarre Landschaft hinwegsehen, über Morast, der sich zu beiden Seiten der eingesunkenen, zerborstenen alten Straße erstreckte, über schlammiges, schaumiges Wasser, über Binsengewächse mit purpurn blühenden Dolden und abertausend andere Gewächse und Pflanzen, jede nur erdenkliche Vegetation, häßliche, knollige Gestrüppe, die über blubbernden Schlammpfuhlen trieben. Nicht zwei Pflanzen glichen sich, und selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, daß nur wenige Gewächse der Faulstelle ohne abgestorbene und zerfallende Teile waren. Hier und da flohen kleine, schattenhafte Tiere; huschten von einer Vegetationsgruppe zur anderen, griffen an oder wurden angegriffen - von anderen Tieren, von der Vegetation selbst. Der Morast selbst gehörte nicht zu der Faulstelle, nicht richtig, aber ihrer Meinung nach war er genügend damit verwandt. Gänsehaut entstand auf ihrem Rücken. Sie wandte sich ab.
    Unwillkürlich atmete sie flacher - der widerwärtige Geruch des faulenden Durcheinanders war zum Schneiden dick - und wühlte sich in das struppige Unterholz hinein. Die Rinde der kleineren Bäume war überzogen mit sickernden Flüssigkeiten, deren üble Ausdünstungen stark genug waren, um den Gestank des Morasts noch zu überlagern. Sie hütete sich, diese Bäume zu berühren.
    Der größte Baum ragte in der Mitte empor, auf einer unbewachsenen Anhöhe; nicht einmal Gras gedieh dort. Das machte sie mißtrauisch, aber sie würde sich nicht lange aufhalten, und so ignorierte sie den Druck in ihrem Magen, hängte das Bündel an einen knorrigen Ast und begann zu klettern. Er war ein Parasit, dieser Baum, ein Würger; ein Samenkorn hatte sich in der Astgabelung eines anderen Baumes niedergelassen, Wurzeln geschlagen und dann Ranken ausgebildet, die sich zur Erde hinabgetastet hatten, Ranken, die dicker und dicker geworden waren, bis sie das Leben des Wirts gänzlich erstickt hatten. Die verrottenden Überreste dieses anderen Baumes waren innerhalb der Rankenstämme noch zu sehen. Aber wenigstens war die Rinde der Vielfachstämme des Würgers trocken; mehr noch: sie war brüchig und verkrustet wie ein fossiler Schwamm.
    Die Sprödigkeit der Rinde machte das Klettern zu einem riskanten Unterfangen, und schon bald klebten doch bittere Safttropfen an ihren Händen; dennoch war es leicht genug, besonders, als sich die ersten Äste spiralförmig rings um den Zentralstamm herum emporschraubten. Je höher sie kam, desto kürzer wurden die Äste, und die schützende Blätterkrone war greifbar nahe. Der Baum schwankte ein wenig. Sie schlängelte sich vorsichtig weiter, darauf bedacht, so hoch wie irgend möglich zu kommen, und als sich der Stamm teilte, zog sie sich mit einem geschmeidigen Ruck in die Astgabelung und ließ sich dort rittlings nieder, die Fersen auf kleinere Äste weiter unten gestützt. Sie brach ein paar von den dicht beblätterten Astspitzen ab, um sich ein Fenster zu der Welt außerhalb zu schaffen, dann kramte sie das zusammengeklappte Fernrohr hervor und zog es auseinander. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie auf die Ebene hinaus. Weit entfernt, in einer der Talmulden, entdeckte sie eine Gruppe von Reitern, eigenartig zusammengedrängt. Es lag etwas Angespanntes in der Haltung der kleinen, drahtigen Gestalten; etwas auffällig Angespanntes. Ein Hinterhalt? Sie polierte die Linsen, setzte sie in die ausgezogene Röhre, befestigte das Okular und hob das Fernrohr ans Auge; sie stellte die Sicht scharf und holte die Gesellen als

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