Die Fallen von Ibex
Farben gemalt, bis die Züge davon verdeckt wurden und nicht mehr wahrnehmbar waren. Aleytys jedoch sah sie in einer außergewöhnlichen Deutlichkeit, als sei die Helligkeit zwischen ihnen vollkommen klar geworden und zu einer Vergrößerungslinse verkrümmt. Die Grashalme bewegten sich geziert in einem gemächlichen Zeitlupentanz. Jede Bewegung der Frauen dauerte Ewigkeiten. Aleytys sammelte glühendes, goldenes Licht um ihre Hände, hob sie und schleuderte es den Frauen entgegen.
Stricke aus Luft wickelten sich fest um ihren Körper und zogen sich mit jedem Atemzug, den sie machte, enger.
Sie verbrannte die Stricke, schüttelte sie ab und wich langsam zurück.
Die bemalten Schädel schwankten heftiger, ein rhythmischer Gesang erhob sich von den Dreien.
Die Stricke peitschten um sie herum. Ihr Verstand wurde erdrückt von etwas Dunklem, Unerbittlichem. Trägheit kroch in sie hinein, eine Art Hemmfeld baute sich auf. Sie raunte Harskari zu, sie solle die Frauen weiterhin angreifen, während sie selbst jene doppelte Kraft zu bekämpfen versuchte, die sie an Ort und Stelle zu bannen trachtete. Sie wehrte sich dagegen und taumelte rückwärtsgehend von den Zel weg. Sie kam fast bis zur Straße am Flußufer; so etwas wie Hoffnung regte sich in ihr, als die Macht des Angriffs der Ältesten mit jedem weiteren Schritt, den sie zurücklegte, nachließ. Harskari schirmte sie ab und kanalisierte gleichzeitig die Kraft, die Aleytys aus ihrem symbolischen Quell zutage förderte, und Aleytys zerrte und riß an den Luftstricken, an dieser betäubenden Energiehaube, die sie immer wieder über sie zu stülpen versuchten - und mit vereinten Kräften eroberten sie sich einen langsamen und schmerzlichen Sieg.
Die Zel folgten ihr hartnäckig nach, durch Harskaris Gegenwehr gereizt, jedoch nicht gestoppt.
Aleytys spürte den harten und doch elastischen Belag unter ihren Füßen. Die Straße. Sie lächelte. Immerhin. Immerhin die Straße, Madar sei Dank. Die Straße stieg an, eine ansehnliche Steigung; sie ging weiter. Ihre Waden begannen zu schmerzen. Das Tosen des Flusses war gleichmäßig und beruhigend. Noch ein bißchen weiter.
Zähe, faserige, aalähnliche Kreaturen schnellten sich aus den Fluten, wanden sich um ihre Fußknöchel, um ihre Waden. Mehr, immer mehr kamen, mit einer Geschwindigkeit, die sie erschreckte; peitschten sich heran, schlängelten sich um ihren Körper und daran empor, bis zur Hüfte. Sie zerrte an ihnen, wehrte sich, versuchte sie zu verbrennen - aber das ging nicht. Sie rammte unerbittliche Geistfinger in sie hinein, suchte nach Willenszentren, die sie übernehmen und steuern konnte, gerade wie dasjenige des Falken, doch sie fand nichts, und dann blieb keine Zeit mehr -überhaupt keine Zeit mehr. Ein Aal - oder war es eine Ranke? -schlang sich um ihren Hals, jähe Muskeln verkrampften sich, würgten sie.
Ihr Verstand trübte sich. Die bewußte Wahrnehmung setzte aus, leere Stellen, als wäre die Welt für einen Sekundenbruchteil abgeschaltet worden - und dann wieder da. Sie war erschöpft. Auch mit purer Willenskraft war daran nichts mehr zu ändern. Ihr Geist wich unter dem Sperrfeuer ihrer Hiebe zurück, sie ignorierte Harskaris drängende Forderungen. Die starren, übereinandergewickelten Schlingen der Ranken-Aale hielten sie aufrecht, sonst wäre sie längst zusammengebrochen. Sie zog sich tief in sich selbst zurück, nicht bewußtlos, doch auch nicht mehr bei wachem Verstand. Ihre Körperwärme stieg um ein paar Grad an, als der nicht mehr kontrollierte Energie-Pool in ihr unruhig pulsierte. Die Aale/Ranken knarrten und bewegten sich nervös unter der ungewohnten Hitze innerhalb ihrer Windungen. Sie zog sich noch weiter zurück, bis nicht einmal mehr Harskari sie erreichen konnte.
10
Im Schatten des Waldes hörte Shadith die triumphierenden Schreie der Zel von den Berghängen widerhallen. Sie knirschte mit den Zähnen und bog von der Straße ab, dirigierte das Gyr zwischen mehreren Bäumen hindurch, bis sie einen Baumwürger entdeckte der ihr (wie damals, am Rand der Faulstelle, Aleytys) einen guten Ausblick über das Land versprach. Das Gyr scheute, weigerte sich, näher an die Pflanze heranzugehen, und so saß sie ab und befestigte die Zügel an einer harzigen Konifere. Dann eilte sie zu dem Würger, kletterte hastig empor, ohne auf das Knacken und Reißen der Rinde zu achten, das ihren Aufstieg begleitete, und ohne auf das feuchte Kribbeln und Brennen der Säfte zu achten, die sie dabei
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