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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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freisetzte. Sie erreichte die oberste Gabelung und zog sich hinein, brach Zweigspitzen und schorfige Blätter ab, bis sie freie Sicht auf die Straße hatte - und das, was dort passierte.
    Sie sah Aleytys neben dem gestürzten Gyr stehen, sah sie Feuer auf die Zel schleudern, sah das Gyr hochtaumeln, sah, wie Aleytys Schritt für Schritt ihren Rückzug begann. Ihre Hände schlossen sich fest um den vorderen Ast der Gabelung und schüttelten ihn. Sie litt mit Aleytys, kämpfte mit ihr um jeden Schritt und widerstand gleichzeitig dem beinahe übermächtigen Drang, zu ihr zurückzulaufen und ihr bei der Verteidigung gegen die heranstürmenden Feinde beizustehen. Doch wenn sie sie nicht schlagen konnte, dann schaffte sie es gewiß noch weniger. Es wäre ein sinnloses Opfer. Sie würden beide gefangengenommen werden. „Los, Lee, du kannst es, dörr diese Hurentöchter aus, ahh!” Aleytys erreichte die Straße, wich weiter zurück, vergrößerte den Abstand zwischen sich und den Zel. „Du schaffst es, noch ein kleines Stück, und ich - oh, Gott!” Lange, tauartige Schemen glitten aus dem Fluß und lauerten zusammengerollt neben der Straße. Aleytys näherte sich ihnen rückwärtsgehend immer mehr. Sie öffnete den Mund, schloß ihn wieder. Jeder Warnruf war nutzlos, der Wind stand gegen sie, die Wasser des Flusses waren zu laut. Sie schloß die Augen, konzentrierte, versuchte wie von Sinnen, eine stumme Warnung in Aleytys’ Geist zu projizieren und kaute in ihrer Verzweiflung auf ihrer Lippe. „Dreh dich um!” hauchte sie schließlich. „Dreh dich um, Lee. Oh, Gott!” Hiflos, zitternd, mußte sie mitansehen, wie die Schemen plötzlich in Bewegung gerieten, wie sie hochschnellten und sich um Aleytys’ Körper wanden. „Tu etwas, Lee. Steh nicht nur da. Tu etwas!” Die Dinger schlängelten sich um ihren Hals, und die Zel schwärmten heran.
    „Wenn sie sie töten…” Tränen strömten über Shadith Gesicht, sie biß sich auf die Unterlippe, bis sie blutig war, strich mit brennenden Händen über den Ast. Zorn durchfuhr sie, eine Wut, in der sich Angst um das eigene Leben und Empörung über die dumme Feindseligkeit der Frauen dort unten mischten. Sie preßte das Gesicht gegen den Baumstamm, klammerte sich fest, als könne das Leben darin ihr eigenes Leben erhalten. Kälteschauer durchliefen sie in Wellen, als sie über die eigene mißliche Lage nachdachte. Wenn Aleytys getötet wurde, dann konnte sie sich auf eine Menge Schwierigkeiten einstellen. Für die Händler in der Enklave war sie nur eine Eingeborene, eine Zel; mit diesem Körper kein Wunder. Selbst die Schmuggler würden sie nach ihren Erfahrungen mit jener anderen Frau (die Esgard in seinen Aufzeichnungen erwähnt hatte) meiden wie die Pest. Den Raumhafen zu erreichen, war dementsprechend nahezu unmöglich, und an Aleytys’ Schiff heranzukommen oder gar hineinzukommen, vollends aussichtslos. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Allein die Aussicht, auf dieser verteufelten Welt in der Falle zu sitzen und gezwungen zu sein, den Rest ihres so hart erkämpften neuen Lebens hier verbringen zu müssen, raubte ihr fast den Verstand. Ihr Magen verklumpte sich, ihr Atem ging keuchend.
    Sie funkelte auf die Zel hinab. Verdammt sollen sie sein, daß sie mich in diesen Schlamassel gebracht haben. Und verdammt seien wir, für unsere elende Vermessenheit.
    Die Zel umringten Aleytys, verdeckten sie mit ihren Körpern, dennoch bekam Shadith genügend mit von dem, was mit ihr geschah. Eine der weißgewandeten Frauen strich mit einer schmalen Hand über die strickähnlichen Dinger. Was immer sie waren, sie lösten sich von Aleytys und glitten zurück in den Fluß. Aleytys sackte vor den Füßen der Weißgewandeten zusammen. Die Frau trat zurück, winkte, und die Kriegerinnen drängten sich um Aleytys.
    Shadith hielt den Atem an - und spürte, wie ihre Knie gleich darauf weich wurden vor Erleichterung. Sie hoben den reglosen Körper auf und warfen ihn quer über den Rücken eines Gyrs, dann saß eine Zel hinter dem Körper auf, und die anderen taten es ihr gleich.
    Gemeinsam ritten sie in langsamem Trab zur Insel zurück.
    Sie kann nicht tot sein, dachte Shadith. Sonst würden sie sich nicht diese Mühe machen. Es sei denn, sie sind Kannibalen. Oh Gott, laß sie keine Kannibalen sein.
    Sie fühlte sich entsetzlich allein, nicht einsam, nicht einmal verlassen, nur allein, abgesondert, mit keinem Lebewesen auf dieser und allen anderen Welten verwandt. Sie klammerte sich

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