Die Fallen von Ibex
verlieren, Lee.” Sie schaute über die Schulter zur Insel hinüber. Dort war Stille eingekehrt, aber das war nicht sehr beruhigend. „Hilf mit, ich kann dich nicht allein hochbringen.”
„Yaaah …” Aleytys atmete tief durch, schüttelte sich. Ihre Arme und Beine zuckten, aber sie schaffte es, auf die Füße zu kommen.
Mit Shadiths Hilfe richtete sie sich vollends auf, übergab sich, kauerte sich zusammen, wartete, bis Shadith das Gyr herangeführt hatte. Sie schluckte, versuchte wieder, hochzukommen. Die Beine versagten über den Dienst. Sie war so schwach! „Es soll knien.”
Ihre Stimme klang verzerrt, breiig; sie mußte die Worte wiederholen, Shadith hatte sie nicht verstanden.
Sobald Aleytys im Sattel war, saß auch Shadith auf und trieb ihr Gyr mit energischen Hackenstößen zu einem raumgreifenden Galopp an. Voller Erleichterung hörte sie, wie das andere Tier hinter ihr folgte. Von der Insel wehten Schreie und grelles Pfeifen her
über. Aleytys fluchte. Pfeile sirrten durch die Nacht. Shadith spürte einen Hitzestoß hinter sich und fuhr herum. Aleytys sammelte Lichtblasen um ihre Hände, und als sie Shadiths Blick bemerkte, lächelte sie grimmig. „Nicht noch einmal”, keuchte sie. „Der eine Besuch reicht.” Das Diadem irrlichterte in ihren nassen Haaren, ein Geisterbild, nicht mehr, und noch immer konzentrierte sich Aleytys, raffte all ihre Macht zusammen und komprimierte sie zu diesem Glühen und Strahlen in ihren Händen. Mit einem langgezogenen, auf- und abschwellenden Kampfschrei schickte sie das Goldfeuer los, schleuderte es gegen die Hecke und die Wächterbäume.
Shadith grinste. Am anderen Ufer peitschten Flammen in die Schwärze empor, sprangen auf Dornenranken und verfilztes Gestrüpp über, loderten vom Baumwipfel zu Baumwipfel. Sie jauchzte vor Freude - und verstummte, als sie Aleytys’ erschöpften, konsternierten Blick bemerkte.
Sie trieben die Gyori an, passierten die Insel trotz des zwischen ihnen liegenden Flußgrabens in gefährlicher Nähe - doch es folgte kein neuerlicher Pfeilhagel. Shadith zuckte leicht zusammen, als könne sie den Zorn, die Angst und den Haß so deutlich wahrnehmen wie jene düstere Rauchwolke, die sich jetzt über der Zel-Siedlung ausbreitete. Sie biß sich auf die Unterlippe, wandte sich zu Aleytys um und fragte sie, ob sie den rauhen Ritt aushalten konnte.
Aleytys hob eine Hand, machte eine schmerzerfüllte Geste, bedeutete ihr, nicht anzuhalten. „Kümmere dich nicht darum…”
Sie versuchte nicht, den Satz zu Ende zu bringen, sondern klammerte sich wieder am vorderen Teil des Sattelpolsters fest, lehnte sich angespannt nach vorn, über den Hals des Gyrs, das Gesicht straff, verzerrt, nasse Haarsträhnen darauf verklebt.
Eine unheilvolle Stille senkte sich über das Tal, eine Stille, die noch immer andauerte, als sie die Straße in die Berge hinauf erreichten; es war, als sammelten das Tal und die Zel in einer letzten gigantischen Anstrengung all ihre Kräfte. Selbst das Rauschen des Flusses schien gedämpft - jedenfalls kam es Shadith so vor.
Die Athmosphäre wurde bedrückend, ein Gewicht, das auf ihr lastete.
Unvermittelt tauchten Sturmböen heran, geifernde Phantome, und die Gyori scheuten und schrien ihre Angst hinaus, als habe ihnen der Sturmwind einen Dämonenzorn eingehaucht. Shadith klammerte sich am Sattelpolster fest, strengte sich verzweifelt an, ihr Tier unter Kontrolle zu bringen. Nach und nach gelang es ihr…
mehr und mehr raubte sie dem Wind seine vernichtende Macht und peitschte ihr Tier voran - über die steiler ansteigende Straße empor.
Für einen Sekundenbruchteil lockerte sie ihren geistigen Griff, wandte sich um, blickte zu Aleytys zurück; sie machte sich Sorgen, hoffte inständig, daß ihre Gefährtin mit den Windböen zurecht kam.
Aleytys war nicht gestürzt. Sie ritt, tief über das Tier gebeugt, führte den Hengst ziemlich gut, obgleich die Anspannung ihr Gesicht verzerrte. Der frostige Schimmer in ihren Augen verriet Shadith jedoch, daß sie am Ende ihrer Kräfte war.
Die Gyori bewältigten die gewaltige Steigung, erreichten den Bergrücken, tauchten in kühle Baumschatten ein, ein dunkles Grün, das das hellere Grün des Grases schraffierte.
„Aleytys - hier entlang!”
Shadith zeigte aufgeregt zu den Bäumen hin, zügelte ihr Gyr in eine langsamere Gangart und dirigierte es schließlich unter die Bäume. Der Sturmwind fauchte ungehindert über die Bergflanken empor, eine Sturmflut aus Haß und Zorn.
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