Die Fallen von Ibex
schwarzen Flüssigkeit, trank, schluckte viel zu hastig und verbrannte sich die Zunge - aber das Getränk regte sie an, sandte einen Energiestoß aus purer Hitze durch sie hindurch. Sie schenkte nach, blickte stirnrunzelnd auf Aleytys hinab. Sie wollte sie nicht noch einmal bewegen, aber auf dem Bauch liegend konnte sie unmöglich trinken. Shadith stellte den Becher ab, zog die Decke beiseite und drehte Aleytys so behutsam wie möglich auf den Rücken. Aleytys stöhnte bei jeder Bewegung.
Shadith schwitzte, nagte an ihrer Unterlippe, dann richtete sie Aleytys ganz vorsichtig auf, nahm sie sanft in die Arme. Sie hob den Becher, hielt ihn an die schlaff geöffneten Lippen und flößt©‘ihrer Gefährtin das heiße Gebräu in den Mund. Nach einem langen, angespannten Augenblick entspannte sie sich ein wenig; Aleytys machte Schluckbewegungen. Sie hatten den Cha geschluckt! Shadith zitterte, würgte den Kloß in ihrer Kehle hinab, blinzelte Tränen weg, die ihre Sicht verschleierten. Nach und nach flößte sie Aleytys den Cha ein, dann ließ sie sie wieder auf die Decke zurücksinken. Das furchtbare Zittern hatte aufgehört, selbst das Fieber schien nicht mehr so alles verzehrend.
Shadith kauerte auf den Fersen, beide Hände um den frisch gefüllten Cha-Becher geschmiegt, und genoß die Wärme, die auch aus ihrem Körper die schlimmsten Schmerzen vertrieb. Sie leerte den Becher mit hastigen Schlucken, stellte ihn beiseite und beugte sich wieder über Aleytys.
„Lee”, sagte sie. „Hör mir zu.” Sie berührte Aleytys’ Gesicht, drehte den Kopf, damit sie sie anblickte, falls sie die Augen öffnete. Sie wartete. Keine Reaktion. „Also gut”, murmelte sie. „Versuchen wir etwas anderes. Harskari.” Sie sprach den Namen scharf, fordernd. Sie rief wieder, lauter, als wieder jede Raaktion ausblieb.
Sie ohrfeigte Aleytys’ Gesicht, zupfte an ihren Haaren. Nichts. Sie richtete sich wieder auf; die Angst kehrte zurück. Irgendwie muß ich zu ihr vordringen, dachte sie. Irgendwie. Sie darf nicht verbluten. Irgendwie. Aber wie?
Wie zur Antwort schrie in der Ferne ein Falke, ihr Falke - das Tier, das sie so lange vergessen hatte. Sie rieb sich das Genick, wandte den Kopf, blickte sich um. Geistreiter? dachte sie und schüttelte den Kopf. Die Holzperlen klapperten laut in der Stille.
„Geistreiter?” sprach sie es laut aus, als könne sie sich damit selbst überzeugen, daß es funktionieren würde. Sie schloß die Augen.
Langsam, sehr vorsichtig, versuchte sie sich in den vom Fieber gepackten Geist der vor ihr liegenden Frau hineinzutasten. Sie wußte nicht genau, wie sie es anstellen mußte, obwohl sie dieses Gehirn gut genug kannte; wenn Aleytys dies gestattet hatte, war es ihr Gehirn gewesen. Gestattet hatte; das war das Problem. Jetzt hatte sie ihre Erlaubnis nicht; nicht für das, was sie vorhatte. Sie beruhigte sich, riß sich zusammen; sie wollte den Körper ja gar nicht übernehmen, diesmal nicht, sie wollte nur einen Funken Bewußtsein erreichen. Es gefiel ihr nicht, es war ein schauriges Gefühl, es war ein Gefühl, als würde sie ihre so schwer erkämpfte Freiheit einfach aufgeben und wieder in die Falle des Diadems zurückkehren. Sie zwang sich, nicht mehr daran zu denken, zwang sich, weiterzumachen, tiefer hineinzutasten, hineinzukriechen.
Aleytys. Lee. Hör zu. Wach auf, Lee. Du mußt dich heilen, bevor es zu spät ist. Harskari, komm heraus, hilf mir, hilf uns.
Und es ging weiter und immer weiter, dieses Unterwandern in Schwärze, in Nichts, dieses vergebliche Rufen in Schwärze, in Nichts. Sie begann sich desorientiert zu fühlen; sie begann daran zu zweifeln, daß sie je wieder in ihren eigenen Körper zurückfinden würde; ein neuer Körper, ja, aber ihrer. Dennoch machte sie weiter. Aleytys. Lee. Hör zu. Nimm all deine Kraft zusammen. Versuch es, Lee, bitte, versuch es. Hör zu. Du stirbst, Lee, du verblutest. Du bist schwer verwundet, und das Pfeilgift ist in deinem Körper. Du hast Fieber. Wach auf, verdammt, du mußt aufwachen und dich heilen. Hör zu, versuch…
Und endlich war Harskari da, vage, schwach, aber sie war da, und sie sang, sang Kraft in sich hinein, und Shadith konnte weder richtig hören noch verstehen, was sie sang, aber der glühende Dunst und die Fiebernebel wurden schwächer, und endlich, oh, endlich war auch Aleytys da, ebenfalls nur vage, fern, unsagbar schwach, aber sie war da.
Shadith machte sich auf die Suche nach dem Weg zurück, durch labyrinthisches Nichts,
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